Torben Rosenbohm

Freier Journalist aus Oldenburg

Seth Hinrichs über den deutschen Pass, den Trainerwechsel und die Revanche gegen Frankfurt

Im Sommer wechselte Flügelspieler Seth Hinrichs von den Veolia Towers Hamburg zu den EWE Baskets Oldenburg. Hier startete er zum dritten Mal in seiner Karriere in eine Saison unter Headcoach Pedro Calles, der allerdings vor Kurzem von den Verantwortlichen in Oldenburg beurlaubt wurde. Im Interview im Club Center an der Maastrichter Straße sprach ich mit dem 31-Jährigen über die Suche nach familiären Wurzeln, den schwierigen Saisonstart und seine Erwartungen.

Seth, in diesem Jahr hast du deinen deutschen Pass erhalten. Was bedeutet dir das persönlich?

Das war für mich wirklich ein großer Erfolg, ein echter Meilenstein in meinem Leben. Ich habe eine lange Zeit darauf hingearbeitet, es gab viel zu erledigen auf diesem Weg. Es erforderte außerdem eine Menge Geduld, um den Prozess durchzuhalten. Ich respektiere aber all die Regelungen, die es diesbezüglich gibt, und bin einfach sehr dankbar, dass es nun geklappt hat. Ich bin sehr stolz auf meine doppelte Staatsbürgerschaft und freue mich, jetzt auch einen deutschen Pass zu besitzen. Es ist eine Ehre.

Wann hast du zum ersten Mal von den deutschen Wurzeln deiner Familie gehört und was hast du in den vergangenen Jahren unternommen, um dieser Geschichte auf die Spur zu kommen?

Ich wusste schon sehr lange, dass es diese Verbindung gibt. Mein Vater und mein Großvater haben immer wieder davon erzählt, dass unsere Familie aus Deutschland stammt. Mein erstes Jahr hier verbrachte ich in Kirchheim, und als ich ein Jahr später nach Vechta wechselte, wurde das zum großen Thema. Meine Großtante besitzt eine umfassende Chronik, aus der hervorgeht, wer von woher stammt. Sie hat da wirklich sehr viele Daten zusammengetragen und ist ausgesprochen aktiv, was die Erforschung der Abstammung angeht. Sie kontaktierte mich und sagte: In Vechta seid ihr sehr nah dran an unseren Familienwurzeln, das war im Jahr 2017. Als meine Eltern mich dann dort besuchten, sind wir losgefahren und haben uns in Bagband und Hesel umgeschaut. Wir fanden Grabsteine mit dem Familiennamen und inspizierten Gebäude, die wir auf alten Fotos tatsächlich wiedererkannten. Das war schon ein toller Moment, als wir das entdeckten und feststellten, dass alles fast noch so aussah wie in den 1800er-Jahren. Ich muss auch unbedingt noch ins Auswandererhaus nach Bremerhaven fahren. Das ist das Richtige für einen verregneten Wintertag. (lacht)

Kommen wir zum Basketball. Wenn du einmal zurückschaust und deine Gedanken, die du am Ende deiner Collegezeit 2015 hattest, mit dem vergleichst, was du in neun Jahren als Profi erlebt hast: Wie fällt dein Zwischenfazit aus?

Wenn ich sehe, was ich erlebt habe und wo ich schon überall war, dann muss ich ehrlich sagen: Damit habe ich damals niemals gerechnet. Meine Frau und ich haben kurz vor meiner ersten Station als Profi in Portugal geheiratet, und wir haben uns gesagt: Lass uns einfach mal schauen, was dieses Jahr bringt. Wir waren frisch verheiratet, fernab der Familien, fernab der Freunde. Man steht da am Ende seines Studiums, hat seinen Abschluss und möchte den auch nutzen. Aber wir wollten zumindest ausprobieren, ob wir aus der Sache mit dem Basketball etwas machen können. Das Maximum, was wir uns zunächst vorstellen konnten, war: Das funktioniert vielleicht drei bis fünf Jahre. Und im Rückblick muss ich sagen: Die ersten Jahre waren nicht die allerbesten, aber es ging einfach immer weiter und ich konnte Schritt für Schritt das nächste Level erklimmen. Und dann dachten wir: Vielleicht geht es doch weiter? Und dann endete Jahr fünf, später Jahr sieben – und wir stellten fest, dass es wirklich gut läuft. Du siehst also: Es gab anfangs keine speziellen, festen Ziele, aber wir konnten irgendwann voller Überzeugung sagen, dass wir das so weitermachen. Ich wollte das für mich höchste Niveau erreichen, und auf diesem Weg habe ich beispielsweise vier Jahre im Eurocup gespielt, ich war in der ACB. Und heute? Als ich 2017 in Vechta in der zweiten Liga war, hätte ich nicht einmal davon zu träumen gewagt, eines Tages bei einem Club wie den EWE Baskets spielen zu dürfen. Es ist wirklich ein bisschen surreal: Ich bin im zehnten Jahr Profi, es macht immer noch großen Spaß und ich bin glücklicherweise fit und gesund. Die Familie ist gewachsen, meine Frau ist der Fels der Familie, wir haben vier Kinder und befinden uns wirklich in einer tollen Situation. Dafür bin ich sehr dankbar!

Pedro Calles und Seth Hinrichs verbindet eine Freundschaft. Bild: Ulf Duda/fotoduda.de

In Vechta, Hamburg und bis zuletzt auch in Oldenburg hast du unter Headcoach Pedro Calles gespielt. Offenkundig bist du mit seiner Art zu arbeiten einverstanden. Was macht ihn aus deiner Sicht besonders?

Pedro und ich haben eine sehr gute Beziehung, das gilt auch für unsere Familien. Ich kenne ihn in Sachen Basketball sehr gut, aber auch abseits des Parketts. In Vechta habe ich ihn als Co-Trainer kennengelernt, danach bekam ich einen Eindruck von ihm als Headcoach, als er dieses Amt bei RASTA nach dem Aufstieg übernommen hat. Ich mag seine Philosophie und seine Art zu arbeiten. Generell ging es hier in Europa für mich vor allem darum, unter einem Trainer aktiv zu sein, der mich als Spieler unbedingt in seinem Team haben wollte. Ich habe einige Trainer erlebt, und Pedro hat es geschafft, mein Potenzial zu wecken und mich besser zu machen. Seine Teams waren immer erfolgreich. Das war natürlich ein wichtiger Grund, nach Oldenburg zu kommen.

Wie überrascht warst du, dass es nach der Niederlage beim MBC einen Trainerwechsel gab?

Jedes Mal, wenn jemand entlassen wird, ist das im ersten Moment eine Art Schock. Pedro ist zudem ja ein echter Freund, daher schmerzt das Ganze schon. Ich habe mich schlecht gefühlt, und es tat mir leid, dass wir ihm nicht durch bessere Ergebnisse mehr geholfen haben. Für mich persönlich muss ich im Rückblick eingestehen, dass ich es in den kritischen Spielen nicht geschafft habe, meine beste Leistung abzurufen. Das würde ich gern rückgängig machen, aber das funktioniert leider nicht. Jetzt heißt es: nach vorne schauen.

Wie schwierig ist es, sich so kurzfristig an einen neuen Trainer zu gewöhnen?

Glücklicherweise ist das erst zum zweiten Mal in meiner Karriere passiert, aber das ist natürlich immer etwas steinig. Es kommt ja in den meisten Fällen jemand, der hier und dort andere Vorstellungen hat und neue Einflüsse mit den bewährten mischen möchte. Daher sind die ersten zwei Wochen eine Phase der Anpassung. Aber wir haben erfreulicherweise eine Mannschaft mit sehr guten Charakteren und einer tadellosen Arbeitseinstellung. Das Talent ist sehr groß, und all das hilft bei diesem Veränderungsprozess. Wir stehen zusammen und wollen nun das Beste aus uns herausholen. Hoffentlich kehren auf diesem Weg auch die Verletzten jetzt rasch zurück.

Es gab bis heute nur das eine Spiel in Chemnitz unter dem neuen Headcoach Mladen Drijencic. Ohne in die Tiefen der Taktik eintauchen zu wollen: Mir fiel auf, dass das Oldenburger Spiel zuvor sehr auf die Guards ausgelegt war und die großen Spieler vornehmlich in ihrem Dienste gearbeitet haben. In Chemnitz hatte ich den Eindruck, als ob die Big Men häufiger bewusst mit dem Ball und dem Auftrag „Macht was draus!“ versehen wurden.

Ich glaube schon, dass Coach Mladen den Schwerpunkt etwas mehr in Richtung der Großen rücken möchte. Er ermutigt uns, den Ball aktiv einzufordern – und auch das hilft am Ende ja wieder den Guards, freie Räume zu erkennen und zu nutzen. Da gibt es gewiss einen kleinen Unterschied in der Philosophie, wie man attackiert. Das werden wir jetzt im Training weiter verfeinern, um das Zusammenspiel zwischen Big Men und Guards noch mehr zu verbessern. Aber es wird sicherlich so sein, dass es mal die Großen sind, die durch das Switchen wie in Chemnitz in gute Positionen kommen, und dann auch wieder die Guards, die beim klassischen Pick & Roll den Ton angeben; je nach Gegner natürlich auch.

Seth Hinrichs wechselte zur Saison 2023/2024 zu den EWE Baskets Oldenburg. Bild: Ulf Duda/fotoduda.de

Wobei die Situation in Chemnitz natürlich auch dadurch speziell wurde, dass Eli Brooks und Geno Crandall im Spielaufbau ausfielen. Lass uns noch einmal auf die kritischen Spiele in dieser Saison zurückblicken. In Frankfurt gab es Augenblicke, in denen man kaum mehr hinschauen mochte, auch beim MBC hattet ihr Phasen, in denen die Dinge aus den Händen glitten. Hast du eine Erklärung für diese Einbrüche?

Zum Teil muss man sehen, dass wir mit Verletzungsproblemen und den entsprechenden Folgen zu kämpfen hatten. Zum Spiel in Frankfurt kehrten einige wieder zurück, was ja grundsätzlich großartig ist. Davor spielten wir mit einer kleinen Rotation, Spieler wurden müde, mussten in andere Rollen schlüpfen. Nun waren wir wieder besser besetzt, bekamen aber Schwierigkeiten mit den Line-Ups und Spielzügen. Wir haben in der Vorbereitung kaum einmal in kompletter Formation spielen können. Und dann sind es oft nur Kleinigkeiten, die das große Ganze auseinanderfallen lassen. Uns fehlte zu diesem Zeitpunkt der Saison noch das Gespür für das Zusammenspiel. Hinzu kam das, was ich vorhin schon angesprochen habe: Ich persönlich spüre eine Verantwortung dafür, dass ich nicht bereit genug war. Noch einmal: Ich würde es gern ungeschehen machen, aber jetzt müssen wir nach vorne schauen.

Wo siehst du aktuell den größten Verbesserungsbedarf im Teamspiel?

In meinen Augen haben wir in der Offensive die notwendigen Fähigkeiten und ausreichend Talent, um uns darüber keine großen Sorgen machen zu müssen. Es geht mehr um die Defensive, wo wir noch besser zusammenarbeiten müssen. Und wo wir nun die neuen Ansätze rasch verinnerlichen müssen, um Fortschritte zu machen. Was möchte der Coach in welcher Situation von uns? Wie unterstützen wir uns gegenseitig? Das wird natürlich einen Moment dauern, aber nach dem Frankfurt-Spiel und einer kurzen Pause haben wir dank des Länderspielfensters Zeit, um intensiv zu arbeiten.

Setzt du dir selbst bestimmte Ziele, wenn du in eine Saison startest?

Nicht immer – zumindest keine speziellen. Es dreht sich dabei zunächst einmal auch nie um bestimmte Zahlen oder Prozentwerte. Ich fokussiere mich immer voll und ganz darauf, dem Team dabei zu helfen, Spiele zu gewinnen. So viele wie möglich natürlich, um das bestmögliche Resultat als Mannschaft zu erzielen. Darum geht es doch. Und wenn man dann am Ende seinen Beitrag dazu geleistet hat, dass man als Sieger vom Feld geht, ist es das Größte. Da stört es mich auch nicht, wenn ich keinen Punkt erzielt habe, aber wirklich alles gegeben habe. Ich will immer mit der nötigen Aggressivität ins Spiel gehen.

Das beantwortet praktisch schon meine nächste Frage. Wenn Leute über dich sprechen, dann erwähnen sie oft, dass Seth Hinrichs viele Dinge erledigt, die auf keinem Statistikbogen auftauchen. Belastbare Zahlen, auf die Fans ja auch genau schauen, spielen für dich also eine absolut untergeordnete Rolle?

Ich möchte effizient spielen und dem Team helfen. Das kann dann schon ein sauberer Block sein, um meinen Mitspieler in eine freie Position zu bringen. Ich war in meiner Karriere nie der talentierteste Spieler im Kader, und ich habe mit einigen wirklich talentierten Jungs zusammengespielt – und da ging es immer um die Frage, was ich tun kann, um ihnen zu helfen. Das ist ein Wechselspiel; wenn ich ihm helfe, hilft er später wieder mehr. Davon profitiert jeder. Wenn du den Wurf nimmst und triffst, macht es dich glücklich. Wenn du den Pass spielst und dein Mitspieler trifft, macht es zwei Leute glücklich.

Der Teamgedanke steht bei Seth Hinrichs über allem anderen. Bild: Ulf Duda/fotoduda.de

Wie sehr vermisst du den europäischen Wettbewerb in dieser Saison?

(lacht) Um ganz ehrlich zu sein: Wir waren ziemlich glücklich, als wir hörten, dass das in diesem Jahr ausfällt. Wir haben vier Kinder, mein Jüngster ist gerade einmal acht Monate alt. Gerade das erste Jahr ist wirklich herausfordernd, und es ist gerade sehr schön, etwas mehr Zeit zu haben und nicht so viel unterwegs zu sein. Ich habe das natürlich sehr genossen mit dem Eurocup, aber es ist dann ja regelmäßig so: Du verschwindest früh am Dienstag und kommst spät am Donnerstag nach Hause. Die Zeit, in der die Kinder klein sind und man viel Zeit mit ihnen verbringen möchte, endet schnell. Ich gebe zu: Die Nichtteilnahme stand auf der großen Positivliste der Gründe, hier zu spielen.

Aber für die kommende Saison wärst du wieder bereit für Europa …

(lacht) Ganz sicher!

Du bist 2018 das erste Mal in der BBL aufgelaufen. Wie hat sich die Liga seitdem entwickelt?

Damals hatte ALBA das Finale im Eurocup erreicht und war in die Euroleague aufgenommen worden. Heute gibt es zwei deutsche Teilnehmer in diesem Wettbewerb, und überhaupt spielen viel mehr Teams international. Dann wurde zwischendurch Ulm Meister, Bonn spielte konstant auf sehr hohem Level. Das ganze Niveau, von der Spitze bis weit runter, ist besser geworden. Es gibt mehr Mannschaften, die sich um die vordersten Positionen streiten. Schau dir Chemnitz an, die waren immer ganz oben mit dabei.

Euer nächstes Spiel ist gegen Frankfurt. Machen die Erfahrungen aus dem schmerzhaften Pokal-Aus die Angelegenheit zu etwas Besonderem?

Aber sicher! Da ist schon eine Portion an Extra-Motivation. Wir wissen, dass wir nicht gut gespielt haben. Es gibt natürlich Revanche-Gelüste und das Ziel, uns besser zu präsentieren als bei unserer schlechten Leistung im Pokal.

Nach der Partie gibt es eine kurze Auszeit. Wie wirst du die verbringen?

Wir sind gerade in ein neues Domizil umgezogen. Daher sind wir noch munter am Auspacken, und es gibt eine Menge zu tun. Eine unserer Töchter ist in der dritten Klasse, daher haben wir keine Chance, länger fortzufahren. Es kommen Freunde aus den USA, wir lassen es uns einfach ein wenig gut gehen.


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Zu meinem Basketball-Background: Als wenig erfolgreicher Spieler hatte ich lange Zeit großes Interesse am aktiven Tun, allerdings beschränkt sich meine Liebe zu diesem Sport inzwischen auf die Besuche in den Hallen und Arenen und die entsprechende Arbeit an der Tastatur. Von 2004 bis 2014 habe ich die Medien- und Öffentlichkeitsarbeit der EWE Baskets Oldenburg geleitet (und beispielsweise hier über Mumbrús Anteil am Oldenburger Ausscheiden 2013 geschrieben), seitdem beschäftige ich mich mit dem Club im Speziellen und dem Basketball im Allgemeinen als freier Journalist – unter anderem für die easyCredit Basketball Bundesliga, als Kolumnist für das Delmenhorster Kreisblatt oder in diesem Blog. Was ich sonst noch so mache: hier entlang.