Torben Rosenbohm

Freier Journalist aus Oldenburg

Spitzenspiel? Krisenalarm!

Es ist längst zur Gewohnheit geworden, Duelle zwischen den EWE Baskets Oldenburg und ratiopharm ulm als Spitzenspiel wahrzunehmen. Da ist einerseits die Tatsache, dass beide Clubs in den vergangenen Jahren tabellarisch regelmäßig in höheren Gefilden platziert waren. Andererseits gibt es eine bemerkenswerte Playoff-Historie voller großer Momente, die von einem ganz besonderen Spiel sogar noch überstrahlt werden: Rickey Pauldings Treffer zum 93:93, der eine surreale Aufholjagd krönte und die Wende in der damaligen Halbfinalserie einläutete.

Aber: Es läuft nicht immer so, wie sich die Protagonisten das vorstellen. In der Saison 2021/2022 waren es die Oldenburger, die dank einer ruinösen Hinrunde die Chance verwirkten, die Begegnungen gegen Ulm als Spitzenspiele zu verstehen. Herausstechen durften die Aufeinandertreffen aber doch, schließlich standen Oldenburgs Rickey Paulding und Ulms Per Günther letztmals für ihre Teams im Aufgebot. Und 2022/2023 wiederum sind es die Süddeutschen, die – zumindest zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison – von der Spitze ein gutes Stück entfernt sind. Am Freitag, 21. Oktober, treten sie am 4. Spieltag mit 0:3 Siegen in der EWE Arena an. Spitzenspiel? Aktuell passt dieser Titel tatsächlich nicht.

Neuzugänge

Was läuft falsch in Ulm? Nun, die Mannschaft ist – und das eint sie mit den EWE Baskets – auf zahlreichen Positionen neu aufgestellt. Das schließt zuallererst den Trainerposten ein, denn Jaka Lakovic hat den Club verlassen und wurde durch den 37-jährigen Anton Gavel ersetzt. Für den einstigen Bundesligaspieler (das Bild oben zeigt ihn bei einem Allstar Game, Foto: Ulf Duda/fotoduda.de) ist es die erste Station als Headcoach auf diesem Niveau, wenngleich er bereits einige Erfahrungen an der Seitenlinie sammeln konnte. Gavel betreute das ProB- und NBBL-Team der Ulmer.

Im Kader ist den Ulmern derweil nicht nur ihr langjähriger Kapitän Per Günther abhandengekommen – er hat seine Karriere beendet –, zudem stehen auch Akteure wie Jaron Blossomgame, Semaj Christon oder Nat Diallo nicht mehr im Aufgebot. Bundesliga-Erfahrung holten sich die Verantwortlichen mit Hamburgs Robin Christen ins Team, dazu kamen unter anderem Matt Mobley und Juan Nunez aus Spanien nach Ulm.

Per Günther hat seine Karriere beendet. Die Ulmer müssen ohne ihren langjährigen Kapitän zurück in die Erfolgsspur finden. Bild: Ulf Duda/fotoduda.de

Fehlstart

Trainer Gavel ist aktuell noch auf der Suche nach der passenden Starting Five, nur Karim Jallow und der neuverpflichtete Yago Mateus Dos Santos standen in allen drei Liga-Begegnungen beim Tipoff auf dem Parkett. Stabilität allerdings ist das, was die Ulmer dringend benötigen, denn den Saisonstart haben sie – bei allem Respekt – in den Sand gesetzt. Zum Auftakt gab es eine durchaus erwartbare 80:87-Niederlage beim FC Bayern München, es folgten Niederlagen gegen die BG Göttingen (84:93) und bei den Rostock Seawolves (80:85). Die vorläufige „Krönung“ des Negativlaufs war das Aus im Pokal, denn das Achtelfinale in Göttingen ging mit 82:86 verloren.

Auffallend: Ulm verspielte zuletzt Führungen und leistete sich Aussetzer zur Unzeit. In Rostock beispielsweise standen die Zeichen mit noch 3:28 Minuten auf der Uhr klar auf Sieg (79:68), dann überrollte der Aufsteiger seinen Gegner im Schlussspurt. Und auch bei der Pokalpartie hielten die Ulmer im letzten Abschnitt einen Vorsprung in den Händen, gaben ihn aber letztlich doch noch ab. Die Frage ist: Wann werden Anlaufschwierigkeiten zur Krise? Eine Niederlage in Oldenburg dürfte diese Diskussion negativ beeinflussen.

Nicht vergessen werden darf in jedem Fall, dass die Ulmer mit einer sehr jungen Mannschaft in die Saison gestartet sind. Die Oldenburger Basketballfans dürfen sich am Freitag auf einige hochinteressante Spieler freuen: Juan Nuñez (18) sei genannt, der mit Spanien die U20-EM gewann, oder Sagaba Konate, imposante Erscheinung unter den Körben.

Auf Kurs

Während also der Saisonstart der Ulmer ein wenig an das erinnert, was den EWE Baskets 2021/2022 widerfuhr, ist die Grundstimmung in Oldenburg eine andere. Angesichts der vielen Wechsel im Team, genau wie in Ulm auch beim Head Coach, war die Erwartungshaltung vor der Saison nicht ganz leicht einzuordnen. Die Hoffnung auf Besserung war vorhanden, die Sorge vor einem Fehlstart aber nicht von der Hand zu weisen.

Ein Blick auf die nackten Resultate zeigt: Es läuft. Zwei Siege und eine Niederlage gegen ALBA BERLIN gehen in Ordnung, dazu kommt der Pokalerfolg in Würzburg. Der war hart erkämpft, führte den Club aber unter dem Strich in die zweite Runde. Hier wartet ein Heimspiel gegen die MLP Academics Heidelberg. Es hätte, bei allem Respekt vor dem starken Gegner, schlimmer kommen können.

Offensiv ist bei den Oldenburgern gewiss noch Raum für Verbesserungen gegeben, und auch defensiv tauchen gelegentlich noch Lücken auf, die Trainer Pedro Calles im weiteren Saisonverlauf nicht mehr hinnehmen wird. Noch sind sie unter der Kategorie „Lerneffekt“ einzuordnen.

Nicht gänzlich sorgenfrei fällt der Blick aufs Personal aus: Die Verletzung von Norris Agbakoko sorgt auf der Center-Position, die nominell nun nur noch von Neuzugang Owen Klassen ausgefüllt wird, für Probleme. Er fällt mit Bänderriss wochenlang aus. Dass in Würzburg auch noch Alen Pjanic umknickte, dürfte den Verantwortlichen einen gehörigen Schreck eingejagt haben …

Ein Spitzenspiel mag es derzeit nicht sein – aber doch eine Partie mit großem Reiz. Oldenburg versucht, die Identität als Gewinner-Mannschaft zu etablieren; Ulm versucht, sich nicht ans Verlieren zu gewöhnen. Im Eurocup ging das am Mittwochabend schief: Beim litauischen Club Lietkabelis unterlagen die Schützlinge von Anton Gavel mit 76:80.

Das Team von ratiopharm ulm in der Saison 2022/2023. Rechts: der Ex-Oldenburger Tyron McCoy. Bild: ratiopharm ulm