Seine Ex-Coaches sind voll des Lobes, und auch unter Pedro Calles überzeugt Tanner Leissner durch großen Einsatz. Der 27-Jährige kam im Sommer 2022 ins Team des Basketball-Bundesligisten und zeigte zuletzt gegen Göttingen eine beeindruckende Vorstellung. Im Interview spricht er über seine Zeit am College, den Wechsel nach Europa und die Situation in Oldenburg.
Tanner, du hast im College-Team von New Hampshire gespielt. Wie war es, auf diesem Niveau aktiv zu sein?
Es war großartig, auf diesem Level zu spielen. Als ich noch in der High School war, war ich mir mindestens bis zu meinem Junior-Jahr nicht sicher, ob ich da überhaupt würde landen können. Dann kamen die ersten Anfragen. Schließlich landete ich bei Headcoach Bill Herrion in New Hampshire, der noch weitere Spieler aus Texas ins Team geholt hat. Er hat mir so viel beigebracht und mir gleich im ersten Jahr die Möglichkeit gegeben, mich in die Starting Five zu arbeiten. Es gab viele Mitspieler, die mir sehr dabei geholfen haben, mein Spiel weiterzuentwickeln. Und daraus wurde dann ja sogar die Chance, als Profi zu beginnen.
Verfolgst du die Geschicke der Wildcats, deren Korbschützenliste du bis heute anführst, noch immer?
Ich war darin schon mal besser in den Vorjahren, aktuell hänge ich etwas hinterher. In den ersten beiden Jahren, nachdem ich das College verlassen hatte, habe ich noch versucht, die Spiele live zu schauen. Das hieß aber gelegentlich auch, dass es hier in Europa drei oder vier Uhr in der Frühe war. (lacht) Inzwischen bemühe ich mich vor allem darum, zumindest die Ergebnisse und Statistiken zu checken. Ich muss aber auch dazu sagen, dass ich nur noch die Coaches kenne und keinen mehr von den Spielern, die für das Team auflaufen. Ich drücke natürlich nach wie vor Coach Herrion und seinen Kollegen die Daumen.
In deiner ersten Saison nach dem College landetest du in der deutschen ProA, der zweiten Liga. Das hattest du dir vermutlich etwas anders vorgestellt.
Zunächst war ich tatsächlich optimistisch, auf einem höheren Level einzusteigen. Man bekommt natürlich mit, was andere Spieler in ihrem ersten Jahr nach dem College für Chancen erhalten. Daher gebe ich zu: Meine Erwartungen waren zunächst höher. Aber ohne die genauen Unterschiede zwischen den Ligen zu kennen, erwies sich die ProA als gutes Niveau, um meine Profikarriere zu beginnen. Mein Jahr in Ehingen war gut, um mich an das Profileben zu gewöhnen. Leben in Europa, leben als Profi – das beides zusammenzubringen, funktionierte dort sehr gut, auch dank des engen Kontakts zu Teamkollegen. Auch, wenn es nicht ganz das war, was ich mir ausgerechnet hatte.
Dann kam die Chance, nach Ludwigsburg in die Bundesliga zu wechseln.
Ich erinnere mich daran, während meiner Saison in Ehingen mal nach München gefahren zu sein. Dort habe ich mir mit einigen Mitspielern ein Spiel angeschaut und dachte nur: wow! Das war so ein hohes Level, so eine physisch intensive Spielweise! Ich war wirklich beeindruckt davon. Ich war gleichermaßen begeistert, überrascht und nervös, als mir Coach John Patrick in der Saison danach die Chance gegeben hat, selbst auf diesem Niveau zu spielen. Es brauchte dann eine Zeit, bis ich in Schwung kam und das Level erreichen konnte. Der Start war schwierig, gerade in der Saisonvorbereitung. Diese Physis! Diese Geschwindigkeit! Um mich aber auch daran zu gewöhnen, war die Zeit in Ludwigsburg sehr wertvoll.
Nach einem Jahr in der Türkei folgte eine Saison in Litauen, inklusive der dortigen Meisterschaft. Hast du gespürt, in einem echten Basketball-Land aufzulaufen? Besonders in Vilnius war das greifbar. Sie haben eine echte Basketball-Kultur und -Geschichte dort. Die Fans sind mit so viel Hingabe dabei. In anderen Ländern ist Fußball die Nummer eins, in Litauen ist es Basketball. Ein Teil davon zu sein, gerade auch, wenn die enge Halle bis auf den letzten Platz gefüllt war, das war schon großartig. So etwas hatte ich vorher noch nie erlebt.
„Ich bin sehr stolz auf Tanners Laufbahn seit seinem Abschluss an der UNH. Während seiner College-Karriere hatte ich keinen Zweifel daran, dass er auf der nächsten Ebene erfolgreich sein würde. Er hatte alle Qualitäten, die man braucht, um ein sehr guter Spieler zu sein. Nummer eins: Er war sehr, sehr lernfähig. Jeden Tag, an dem er zum Training in die Halle kam, ging es darum, der beste Spieler zu werden, der er sein konnte. Seine Übungsgewohnheiten waren großartig. Zweitens hatte er eine großartige Arbeitsmoral. Er arbeitete extrem hart an seinem Spiel und verschwendete nie einen Tag. Drittens war er ein großartiger Anführer und Teamkollege. Wenn Spieler diese Qualitäten haben, dann haben sie die Chance, großen Erfolg zu haben. Er war auch einer der besten Menschen, die ich in meiner Karriere trainieren durfte. Daher bin ich sehr glücklich über seinen Erfolg und überhaupt nicht überrascht von seiner Karriere.“
Bill Herrion, Basketball-Trainer der University of New Hampshire
Bei der Europameisterschaft konnte man einen Eindruck davon gewinnen, als Litauen mit mehreren Tausend Fans die Arenen stürmte.
Das gibt einem halt auch auswärts das Gefühl, ein Heimspiel zu haben. Das sind echte Die-Hard-Fans!
Was wusstest du über Oldenburg, bevor du hier einen Vertrag unterschrieben hast? Und wie ist dein Eindruck nach den ersten Monaten?
Was lustig ist: Bevor ich hierher kam, dachte ich, dass Oldenburg viel kleiner ist. Ich habe online die Einwohnerzahlen von Ludwigsburg und Oldenburg verglichen und kam zu dem Schluss: Oldenburg ist kleiner! Als ich dann hierher zog, war ich angenehm überrascht. Ich kannte Oldenburg ja nur von den beiden Spielen mit Ludwigsburg und Vilnius und hatte bei diesen Aufenthalten nur einen ganz kleinen Teil zwischen dem Hotel und der Arena gesehen. Inzwischen habe ich mir hier genau umgeschaut, es ist tatsächlich viel größer als erwartet – und ich fühle mich sehr wohl. Besonders auf den Weihnachtsmarkt in der Innenstadt freue ich mich schon sehr. Als im Sommer das Interesse aus Oldenburg kam, war ich sofort angetan von dieser Chance, denn mein Eindruck von den beiden Spielen in der Arena war hervorragend. Die Baskets sind ein Club mit einer tollen Historie, und mit einem Trainer wie Pedro musste ich nicht mehr lange nachdenken, um hier zu unterschreiben.
Und der Club an sich?
Wenn man die Organisation hier als Ganzes betrachtet, dann ist es ganz klar die professionellste, die ich je erlebt habe. Das reicht von den kleinen bis zu den großen Dingen. Und vor allem betrifft es nicht nur die Trainingsmöglichkeiten, sondern auch und gerade das Office. Ich muss mir hier wirklich um überhaupt nichts irgendwelche Sorgen machen und kann mich wirklich voll und ganz auf den Basketball konzentrieren. Das war an anderen Standorten anders, da gab es immer mal wieder etwas, das einen vom Wesentlichen abgelenkt hat.
Ihr habt fünf Liga-Siege eingefahren und steht in der zweiten Pokalrunde. Bist du zufrieden mit der bisherigen Bilanz?
Ich würde nicht sagen, dass ich zufrieden bin, es ist ja auch noch sehr früh in der Saison. Wir haben das Spiel in Heidelberg weggeschenkt, das ärgert mich immer noch. Und sogar gegen ALBA, die gegen uns ihre bestmögliche Aufstellung mitgebracht haben, wäre mehr drin gewesen, da haben wir nicht so gespielt, wie wir es können. Daher würde ich nicht von Zufriedenheit sprechen; wir können uns noch weiterentwickeln. Das Spiel gegen Heidelberg im Pokal zuhause gibt uns bald die Chance, es besser zu machen. Aber: Wir gehen ein Spiel nach dem anderen an und wollen dabei immer ein Stückchen besser werden.
Kann sich die Art und Weise, wie ihr das Spiel in Heidelberg verloren habt, als Vorteil erweisen mit Blick auf die Pokalpartie am 4. Dezember?
Vor allem die Tatsache, dass wir zuhause spielen, gibt uns einen zusätzlichen Schub – das ist definitiv ein großer Vorteil!
Die Partie gegen Göttingen wirkte auf mich wie das wohl bisher beste Spiel der Saison. Defensiv war erneut Verlass auf das Team, dazu wurde der Ball offensiv sehr gut bewegt. War das auch dein Eindruck?
Dem würde ich zustimmen, vor allem mit Blick darauf, dass wir aus einer Pause kamen und wir mit Rihards einen neuen Spieler an Bord hatten. Offensiv haben wir gut ausgesehen, da fielen dann auch die Würfe, was sie bisher ja nicht immer wie gewünscht getan haben. Aber so ist es im Basketball: Es gibt Phasen, in denen sie fallen, und Phasen, in denen es nicht klappen will. Was immer da sein muss, das ist die Verteidigung, da müssen wir konsequent und verlässlich auftreten. Offensiv war es aber tatsächlich eines der besseren Spiele, und auf dieser Leistung können wir aufbauen und uns weiter in die richtige Richtung bewegen.
Du selbst hattest in dieser Saison deine Probleme mit dem Dreier. Wie wichtig sind die Schüsse aus der Distanz für dein Spiel?
Die sind schon sehr wichtig, denn über diese Würfe definiere ich zum Teil mein Spiel – und dafür bin ich ja auch durchaus bekannt. Definitiv hatte ich in den Spielen davor meine Probleme mit dem Dreier. Aber wenn das dann mal nicht so klappt, versuche ich zumindest, in der Verteidigung alles zu geben und meinem Team dann auf diese Weise zu helfen. Den Gegner vom Punkten abhalten, die richtige Position einnehmen, Rebounds greifen – solche Sachen.
Ist Coach Calles genau der richtige dafür, dass man weiter an sich glaubt? Und auch weiter wirft, ohne Angst haben zu müssen, nach drei Fehlwürfen auf der Bank Platz nehmen zu müssen? Ja, er gibt da allen sehr viel Rückhalt und steigert so das Selbstvertrauen der Spieler. Er sagt: Nehmt lieber einen guten Wurf, der vielleicht danebengeht, als dass ihr einen guten Wurf verweigert, den Ball weiterreicht und die gute Situation vorbei ist. Er ist ein großartiger Trainer, nicht nur wegen solcher Sachen.
„Tanner ist ein diszipliniert und hart arbeitender Mensch. Er war ein großartiger Teamkollege in Ludwigsburg und hat immer 110 Prozent gegeben. Er hat einen der schnellsten Würfe von der Dreierlinie, die ich als Trainer erlebt habe. In der Zeit, in der er für uns gespielt hat, haben wir 17:3 Siege geholt – und er war ein großer Faktor dafür!“
John Patrick, ehemaliger Trainer in Ludwigsburg und aktuell in Japan aktiv
Kannst du deinen ersten Bundesliga-Trainer John Patrick mit deinem jetzigen vergleichen?
Sie sind natürlich auf ihre Weise unterschiedlich, aber sie haben beide sehr effektive Systeme und Coaching-Fähigkeiten. Das hat sich bei beiden in der Vergangenheit schon gezeigt bei ihren Erfolgen. Sie haben ein besonderes Gespür für diesen Sport.
In der Rotation der großen Spieler steht Youngster Norris Agbakoko. Wie schätzt du sein Potenzial ein – solange sein Körper mitspielt?
Wenn er verletzungsfrei bleibt, hat er ganz großes Potenzial. Er hat tolle Fertigkeiten am Brett, außerdem hat er diese enorme Größe. Ich kannte ihn vorher ja nicht und war wirklich überrascht von ihm. Und vor allem Größe besitzt man, die kann man nicht lernen. Er ist ja zudem noch sehr jung, und er kann sich zu einem Spieler mit großem Einfluss auf ein Team entwickeln.
Ihr spielt nur in der Bundesliga und seid in keinem europäischen Wettbewerb vertreten. Fehlt dir da etwas?
Ich sehe es momentan schon eher als Vorteil an. Natürlich will man so viele Spiele wie möglich machen, aber so haben wir einfach mehr Zeit zur Regeneration und Vorbereitung. Das bringt uns in eine bessere Position gegen die Gegner, die unter der Woche gefordert sind, und vielleicht auch mit Verletzungen zu kämpfen haben. Aber: Ganz klar ist es ein Ziel, mit Oldenburg wieder international zu spielen, entsprechend müssen wir uns platzieren.
Wie würdest du deine Saisonziele definieren?
Ich möchte einfach nur jeden Tag immer besser werden. Und es bleibt dabei: Ich will dem Team helfen, um erfolgreich zu sein. Auch mal die schmutzige Arbeit erledigen, Würfe nehmen und treffen. Also: Persönlich vorankommen, als Team wachsen. Jeden Tag!
Du hast in deiner Profikarriere bisher stets nur eine Saison pro Club absolviert. Würdest du dir wünschen, auch einmal irgendwo etwas länger zu bleiben?
Mir würde das wirklich sehr gut gefallen. Ich befinde mich in einem steten Entwicklungsprozess. Das startete in der ProA, jetzt spiele ich bei einem ambitionierten Bundesligisten. Ich werde langsam älter, und ich würde natürlich gerne mal in einem solch professionellen Club über einen längeren Zeitraum spielen.
Wer dir gut zugehört hat, wird sagen: Das könnte doch in Oldenburg sein!
Aber sicher! Solange der Club mich behalten möchte, wäre das eine einfache Entscheidung. Ich mag die Stadt, ich mag den Club; ich genieße es, hier zu sein.