Die Temperaturen sprechen aktuell auch in Oldenburg nicht unbedingt für Hallensport, aber am Club Center der EWE Baskets an der Maastrichter Straße herrscht durchaus reges Treiben. Während Neuzugang Kyle Rode gerade über den Hof in Richtung Trainingshalle spaziert, sitzt Trainer Pedro Calles bereits im Besprechungsraum des Bürogebäudes, in dem sich Kartons mit Merchandise-Produkten stapeln und mittendrin Aufnahmen für die Clubmedien stattfinden, und steht bereit für ein Interview zum Start der Saisonvorbereitung. Gut erholt wirkt der Spanier, der in sein drittes Jahr beim Basketball-Bundesligisten geht.
Pedro, bevor wir auf die neue Saison und die neuen Spieler blicken, müssen wir noch einmal über die vergangene Spielzeit sprechen. Jetzt, mit mehr als zwei Monaten Abstand: Was denkst du über die Saison 2023/2024?
Zunächst einmal wollen wir nicht allzu viel zurückschauen. In der Vergangenheit zu leben, hilft dir nicht weiter. Nichtsdestotrotz muss man natürlich eine Auswertung vornehmen, um aus den Erlebnissen zu lernen. Das Problem mit dieser Auswertung ist aber: Viele Fragen können wir nicht beantworten, da wir schlicht nicht wissen, was passiert wäre, wenn wir weniger Verletzungssorgen gehabt hätten. Am Ende war es ja so: Bei den allermeisten Fragen kamen wir immer wieder auf den Punkt zurück, dass wir so viele Ausfälle hinnehmen mussten. Das große Ganze erschließt sich im Rückblick also nicht richtig, da die vielen Verletzungen so viele Bereiche betroffen haben. Das mit der Auswertung war nach meinem ersten Jahr deutlich einfacher.
Das war auch mein Gefühl, praktisch während der gesamten Saison. Egal, worüber man sprach; egal, worüber man schrieb: Man kam immer und immer wieder auf das Thema Verletzungen zurück und bekam die Saison als Ganzes eigentlich kaum zu fassen. War es die anstrengendste und am meisten fordernde Saison in deiner bisherigen Trainerkarriere? Im Grunde konntest du dich ja nie auf den Kern des Ganzen konzentrieren, da du mit immer neuen Ausfällen, Nachverpflichtungen und den nächsten Rückschlägen befasst gewesen bist.
Ja, keine Frage. Wie du schon sagst: Es gab so viele Dinge, die abseits des eigentlichen Basketballs passiert sind. Aber trotz all dieser Umstände muss man all seine Energie darin investieren, dass es funktioniert und dass man die Probleme löst. In dieser Hinsicht war es also wirklich eine spezielle Saison. Aber es ist und bleibt Teil des Spiels; manchmal läuft es zu deinen Gunsten, manchmal leider gar nicht. Das ist auch schlicht ein Teil einer Trainerkarriere, du musst dich solchen Herausforderungen stellen. Daraus lernt man und das hilft einem, weiter voranzukommen.
Gab es in dieser speziellen Saison irgendwann einen Punkt, an dem du deine Herangehensweise, sei es im Spiel oder im Training, grundsätzlich hinterfragt hast?
Ganz ehrlich: nein! Wir haben eine hervorragende medizinische Betreuung, und wir haben jede Verletzung immer ganz genau analysiert. Ich werde jetzt nicht im Einzelnen erneut diese große Liste durchgehen, aber die allermeisten Blessuren basierten auf Ereignissen, die man schlicht nicht kontrollieren kann. Da geht es leider oft nur darum, ob man in der Situation Glück hat oder eben auch nicht. Sicher resultieren einzelne Verletzungen dann auch aus dem Umstand, dass andere Spieler ausfallen und die Intensität für die Verbleibenden steigt, sowohl im Training als auch im Spiel. Aber im Kern war es einfach großes Pech, als sich die ersten Ausfälle einstellten.
Am Ende der Saison umfasste der Kader der EWE Baskets 14 Profis – und damit 14 Spieler, die potenziell auch für die kommende Saison infrage kamen. Eine Situation, die in vielerlei Hinsicht keine einfache ist – auch vor dem Hintergrund der Entscheidungen im Sommer, wer an Bord bleibt und wer nicht. Gleich drei Spieler mit laufenden Verträgen haben den Club letztlich verlassen.
Zunächst einmal: Ja, wir hatten 14 Profis im Kader. Aber am Ende waren, wenn ich mich korrekt erinnere, ja schon wieder vier von ihnen verletzt. Charles Manning, Kenny Ogbe, Norris Agbakoko, Max DiLeo – sie alle konnten zum Saisonende nicht spielen. Unter den dann noch zehn gesunden Spielern war Chaundee Brown einer, der erst kurz vor Schluss wieder zur Verfügung stand. Es war schon eine Herausforderung, die Rollenverteilung passend zu managen; das änderte sich ja immer wieder. Einer kam wieder, der nächste war raus. Im letzten Monat der Saison waren wir dann tatsächlich in der Situation, dass wir einen ausländischen Spieler zu viel hatten, sodass ich in dieser Hinsicht immer die richtige Entscheidung treffen musste. Und hinsichtlich der Vertragssituationen: Keine meiner Entscheidungen während der Spiele war in irgendeiner Form davon abhängig, wer noch einen Kontrakt hatte und wer nicht. Es geht immer nur darum, das zu tun, was der Mannschaft im jeweils nächsten Spiel hilft. Der folgende Sommer mit all seinen Verhandlungen und Entscheidungen ist in der Phase überhaupt kein Thema.
Drei Spieler – DeWayne Russell, Charles Manning Jr. und Ebuka Izundu – hatten einen Vertrag bis 2025, haben sich aber neuen Clubs angeschlossen. Wollten die Baskets die Spieler nicht mehr oder war es eine Entscheidung der Akteure?
Es war nicht meine Entscheidung, dass diese Spieler den Club verlassen haben. Du musst beachten: Wir befinden uns in einem sehr herausfordernden Business und wir müssen akzeptieren, dass die Spieler schauen, was aus ihrer Sicht das Beste für ihre Karriere ist. Und diese ist meist sehr kurz. DeWayne, Charles und Ebuka sind mit dem grundsätzlichen Anspruch zu uns gekommen, hier nicht nur in der Bundesliga, sondern auch in einem internationalen Wettbewerb spielen zu wollen. In der kommenden Saison können wir das leider nicht bieten. So hat sich das Szenario für sie geändert. Hinzu kommt: Sie sind in Länder wie Italien und die Türkei gewechselt, wo die finanziellen Möglichkeiten offenkundig etwas besser sind. Das gilt es zu beachten und vor allen zu respektieren. Also noch einmal: Es gab nicht die Idee, diese Spieler bewusst abzugeben.
Schwenken wir hinüber zur neuen Saison. Vor der letzten Spielzeit erwähntest du, dass ihr auf der Suche nach Spielern seid, die euch mehr Athletik und Variabilität verleihen. Worauf habt ihr in dieser Offseason den Fokus gelegt, als ihr das Team zusammengestellt habt, das in diesen Tagen zusammenkommt?
Es war ein recht ähnlicher Ansatz, würde ich sagen. Wir wollten vor allem Spieler, die aus voller Überzeugung zu uns kommen, unabhängig davon, ob wir international spielen oder nicht. Die Spieler sollen natürlich charakterlich zur Clubkultur passen. Wichtig war mir auch, dass wir mehrere Akteure haben, die als Ballhandler auftreten können; Spieler, die Vorteile kreieren und dadurch die Variabilität erhöhen können.
Dann schauen wir doch einmal etwas genauer hin. Beginnen wir mit Kyle Rode. Er kommt direkt vom College – auch wenn er auf den ersten Blick meiner Meinung nach gar nicht so wirkt. Ist das nicht auch immer mit einem gewissen Risiko verbunden, einen jungen Mann zu verpflichten, der sein erstes Profijahr absolviert? Auch wenn alles, was ich über ihn gelesen und gehört habe, ausgesprochen vielversprechend klingt.
Dieses Risiko gibt es ganz sicher. Aber durch eine intensive Suche und viele Auswertungen wollten wir genau dieses Risiko minimieren. Wenn man sich das Profil von Kyle anschaut, dann konnte es aus unserer Sicht keine Zweifel geben. Die Umstellungszeit auf den Basketball hier dürfte sehr kurz sein. Das liegt an seinem Charakter, an der Art des College-Programms in Liberty und auch an seinen europäischen Wurzeln.
Europäische Wurzeln?
Es gibt da einen familiären Hintergrund, bei seinem Vater. Vielleicht erzählt er es dir mal. (lacht)
Sprechen wir über Seth Hinrichs. Du kennst ihn aus eurer gemeinsamen Zeit in Hamburg. Wie sehr war dieser Faktor ausschlaggebend bei seiner Verpflichtung?
Wir kennen einander sehr gut. Er spielt schon viele Jahre in der Bundesliga, und wir alle wissen, was er auf dem Parkett liefern kann. Seth ist praktisch ein Aufbauspieler auf der Flügelposition und kann auf diese Weise seine Mitspieler besser machen. Dank seines Charakters und seiner Führungsqualitäten war er in all seinen Teams stets ein ganz wichtiger Faktor. Es ist nicht nur all das, was er auf dem Spielfeld zeigt, sondern eben auch das, was abseits des Courts passiert. Im Hinblick auf das Entstehen eines echten Teamgefühls wird er eine zentrale Rolle einnehmen.
Seth Hinrichs bemüht sich seit Längerem um einen deutschen Pass. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Er steckt in der Tat seit einigen Jahren in diesem Prozess und arbeitet daran. Wir haben die Situation natürlich studiert und verfolgt, und nun schauen wir, wie sich diese Dinge entwickeln.
Die neue Gesetzgebung könnte diesen Prozess nun beschleunigen …
Korrekt, nach unseren Informationen ist das so. Aber: Das ist nichts, was ich beeinflussen kann.
Der letzte Neuzugang war vor wenigen Tagen Eli Brooks. Er hat zunächst einen Vertrag über zwei Monate unterschrieben. Gibt es irgendeine Art von Zweifel, dass er der richtige Spieler ist – beziehungsweise, dass er tatsächlich die letzte Lücke schließen kann?
Ich antworte hier ganz kurz: Ich bin zu einhundert Prozent davon überzeugt, dass er der richtige Spieler für uns ist!
Möglicherweise hängt es ja auch damit zusammen, dass die Frage nach dem deutschen Pass für Seth Hinrichs noch nicht final geklärt ist. Klappt das nicht, stünden sieben ausländische Spieler unter Vertrag …
(lacht) Ich spreche nur über Eli. Und ich wiederhole: Zu einhundert Prozent ist er der Richtige.
Stand die Verpflichtung von Eli Brooks von Beginn an im Fokus oder hattet ihr auch andere Pläne?
Eli hatten wir frühzeitig im Blick. Nicht immer funktionieren die Dinge so, wie man es sich vorstellt, aber jetzt, nach einigen Wochen, ergab sich die Möglichkeit, ihn zu verpflichten.
Die EWE Baskets treten in dieser Saison nicht international an. Ist das ein Problem? Jeder Spieler, jeder Trainer betont immer wieder: Ich möchte im Europapokal spielen.
Lass es mich so formulieren: Es ist kein Problem, aber es ist möglicherweise auch kein Vorteil. Wir haben aber mit allen Spielern darüber gesprochen und wollten nur solche, die damit kein Problem haben, dass wir möglicherweise nur in der Bundesliga spielen. Mit ihnen wollen wir in der Saison 2024/2025 viel erreichen. Es ist nun einmal so, wie es ist. Wir wollen den Club in die Position bringen, sich für einen internationalen Wettbewerb zu qualifizieren; in diesem Jahr ist uns das nicht gelungen, europäisch vertreten zu sein. Das ist das Szenario, mit dem wir arbeiten.
Als du nach Oldenburg gekommen bist, hast du einen Vertrag über drei Jahre unterschrieben. Die bevorstehende Saison ist also im Hinblick auf den laufenden Kontrakt zunächst einmal die letzte. Beeinflusst eine solche Ausgangslage in irgendeiner Form deine Arbeit oder deine Gedanken?
Für mich und meine Arbeitsweise ändert sich nichts, denn ich gehe immer Jahr für Jahr und Saison für Saison an und versuche dabei, das Optimum herauszuholen. Was sich ändern kann, das ist die Ausgangslage bei den Verträgen mit Spielern. Wenn ich als Coach einen Vertrag über mehrere Jahre besitze, dann wissen auch die Spieler, auf was sie sich einlassen. Wenn ich nur noch einen Vertrag über eine Saison besitze, dann liegt die Entscheidung über längere Spielerverträge mehr beim Club.
Zumal es ja auch ein typisches Phänomen ist, wenn man sich als Spieler oder Trainer auf den Profisport einlässt: Man weiß manchmal nicht, ob man kommende Woche oder kommenden Monat noch dazugehört.
So denke ich natürlich nicht, wenn ich irgendwo anfange. Wenn ich bei einem Club beginne, dann stelle ich mir gern vor, da auch zehn oder 15 Jahre zu bleiben. Ich möchte den Standort auf einer besseren Position verlassen, als ich ihn bei meiner Unterschrift vorgefunden habe. Wir schauen übrigens viel zu oft zu weit in die Zukunft – lass uns es lieber Tag für Tag angehen.
Wenn wir einen Blick auf die anderen Clubs werfen, dann gibt es vielerorts eine große Anzahl an Veränderungen. Berlin und München wiederum scheinen einen größeren Kern an Akteuren zu halten. Hast du schon ein Gespür dafür, was die kommende Saison bieten wird?
Um ehrlich zu sein: Ich kümmere mich nicht allzu sehr um das Geschehen bei den anderen Clubs und ihre Personalentscheidungen, das liegt ja ohnehin außerhalb meiner Kontrolle. Ich habe auch meine Zweifel, dass uns das als Team weiterbringt, wenn ich da noch genauer hinschauen würde. Eventuell fällt es München und Berlin auch aufgrund der finanziellen Möglichkeiten etwas einfacher, längerfristige Verträge abzuschließen. Viele andere setzen eher auf Einjahresverträge. Wie gesagt: Was woanders passiert, ist nicht mein Fokus – ich habe hier genug zu tun. (lacht)
Das erste Pflichtspiel führt euch im Pokal nach Tübingen. Deine Einschätzung zu diesem Los?
Ich habe mir die Aufstellung von Tübingen noch nicht angeschaut. Wir haben jetzt sechs Wochen Zeit, um uns darauf vorzubereiten und dem Team unsere Kultur und unser System zu vermitteln. In Tübingen wollen wir dann in der Lage sein, dieses Spiel zu gewinnen. Noch einmal: Ich schaue nicht auf den Gegner. Wir wollen in der Position sein, dass die Gegner über uns nachdenken muss, nicht wir über sie.
Wie intensiv verfolgst du die Olympischen Spiele und insbesondere den Basketballwettbewerb?
Basketball ist mein Beruf, und ich liebe es, Basketballspiele zu betrachten. Natürlich schaue ich bei den Deutschen genau hin, aber auch bei Spanien, Serbien oder den USA. Aber: Die Spieler kommen hier jetzt alle an, es gibt viele Termine, viele Checks, Workouts und einiges mehr – da muss ich schauen, wie viel ich mitbekomme von den Spielen. Was mir aber auffällt: Das Niveau ist sehr hoch. Es ist ein sehr interessanter Wettbewerb.
Gibt es eine Chance, dass die USA nicht die Goldmedaille gewinnen?
Im Sport gibt es immer eine Chance! Schau dir die Weltmeisterschaft an, wo sich Deutschland durchgesetzt hat. Die USA sind aber zweifelsohne aufgrund ihrer Möglichkeiten der große Favorit auf Gold, aber sie müssen sich starker Konkurrenz erwehren.
Und was hältst du vom 3×3-Format?
Ich schaffe es nicht, das auch zu verfolgen, daher kann ich dazu nichts sagen. Die Fans scheinen es zu lieben, und es hilft sicher, das Thema Basketball noch weiter voranzubringen.
Der Beitrag hat dir gefallen? Das würde mich freuen. Verbesserungsvorschläge kannst du per E-Mail an mich senden. Und wer sich mit einem kleinen Betrag finanziell beteiligen und mich bei der Weiterentwicklung dieser Seite finanziell unterstützen möchte, kann das unter diesem Link per PayPal tun. Danke für dein Interesse an meinem Blog!
Zu meinem Basketball-Background: Als wenig erfolgreicher Spieler hatte ich lange Zeit großes Interesse am aktiven Tun, allerdings beschränkt sich meine Liebe zu diesem Sport inzwischen auf die Besuche in den Hallen und Arenen und die entsprechende Arbeit an der Tastatur. Von 2004 bis 2014 habe ich die Medien- und Öffentlichkeitsarbeit der EWE Baskets Oldenburg geleitet, seitdem beschäftige ich mich mit dem Club im Speziellen und dem Basketball im Allgemeinen als freier Journalist – unter anderem für die easyCredit Basketball Bundesliga, als Kolumnist für das Delmenhorster Kreisblatt oder in diesem Blog. Was ich sonst noch so mache: hier entlang.