Anfang September war ich Teilnehmer eines Workshops der easyCredit Basketball Bundesliga in Köln. Als Mitglied der Spieltagsredaktion für die Website der Liga ging es darum, die bekannten, aber vor allem die noch unbekannten Gesichter kennenzulernen, die während der Saison die Online-Berichterstattung rund um die Spiele sicherstellen. Einen Tag der Europameisterschaft durften wir auch noch genießen.
Zu den Inhalten des Workshops zählte, jeweils zwei Teams und ihre Aussichten für die Spielzeit 2022/2023 vorzustellen. In meinem Fall waren das einerseits, welch Zufall, die EWE Baskets Oldenburg. Neues Trainerteam, neue Spieler, dies und das: Die Donnervögel zählten für mich beim vorsaisonalen Plausch zu den spannenderen Teams, nicht zuletzt mit Blick auf die irritierende Vorsaison.
Club Nummer zwei, den ich präsentieren sollte: die BG Göttingen. Die Veilchen, die am Sonntag, 20. November, um 15 Uhr bei den EWE Baskets antreten, zählen seit Jahren zu den Teams, die mit überschaubaren finanziellen Mitteln doch recht solide durch den Alltag kommen. Zugegeben: Mehr als einen kurzen Blick auf den Kader konnte ich zur Einschätzung der Dinge nicht zu Rate ziehen, denn Anfang September ist es ja ohnehin so eine Sache mit den Einschätzungen.
Am Abend vor der Präsentation sagte ich in der Hotelbar zu einem neuen Kollegen aus der Spieltagsredaktion: „Steile These: Göttingen steigt ab.“
Nun. Einige Wochen später musste ich mit Blick auf die Tabelle der Liga einsehen, dass meine Prognose möglicherweise überaus rasch von der Realität eingeholt werden würde. Die BG war mit zwei Siegen in die Saison gestartet – in Ulm und in Crailsheim – und schien mir herüberzurufen: Na, bleibst du bei deiner Meinung? Im Anschluss beförderten die Göttinger auch noch Ulm aus dem Pokal. Sieht so ein Absteiger aus?
Wiederum einige Wochen später muss ich sagen: nicht ganz, aber …
Es hätte durchaus schiefgehen können (und kann es in Anbetracht der langen Saison ja noch immer). Bei der Kaderzusammenstellung setzten die Verantwortlichen um Trainer Roel Moors auf Akteure aus Ligen, die bei der Rekrutierung von Top-Personal eher selten im Fokus stehen: Großbritannien oder Island, dazu die ProA. Außerdem fiel die Entscheidung, einen Akteur aus dem riesigen Pool der College-Abgänger zu akquirieren (Mark Smith), die neben Potenzial immer auch einen Unsicherheitsfaktor mit herüber nach Europa bringen.
Jetzt, nachdem Göttingen auf die ersten Rückschläge mit zwei Niederlagen direkt mit einem Sieg gegen Würzburg reagiert hat, lege ich mich wieder forsch fest: Mit dem Abstiegskampf hat Göttingen nichts zu tun. Beim Workshop hatte ich mir übrigens noch eine kleine Hintertür offengehalten und ins Phrasenarsenal gegriffen: Wenn Coach Moors es schafft, aus seinem Personal das Bestmögliche herauszuholen, dann könnte es auch eine sorgenfreie Saison geben.
Dass Göttingen aktuell mit 3:2-Siegen durchaus passabel dasteht, hat natürlich Gründe. Einerseits hat der Trainer es geschafft, konsequent an seiner Starting Five festzuhalten. In den fünf Ligaspielen standen jeweils Harald Frey (17,2 Punkte pro Partie), Mark Smith (16,4), Till Pape (15,0), Javon Bess (11,8) und Harper Kamp (4,2) beim Tipoff auf dem Parkett und lieferten – mit Ausnahme von Routinier Kamp – bemerkenswerte Zahlen.
Dazu kommen in schöner Regelmäßigkeit Impulse von der Bank, insbesondere Geno Crandall (11,4) und Rayshaun Hammonds (8,8) müssen an dieser Stelle erwähnt werden. Mit der siebtbesten Offense (86,6 Punkte pro Spiel) legt die BG bis dato den Grundstein für die gute Platzierung; Verlass ist dabei auf die Dreierquote, die mit 39,4 Prozent den aktuell drittbesten Wert in der Liga bedeutet. Die Oldenburger werden beim Aufeinandertreffen mit Göttingen genau darauf achten müssen und den Gästen das Leben an der Dreierlinie schwer machen wollen.
Sorgen bereitet derweil die Rebound-Arbeit der Veilchen – und hier liegt vor dem Niedersachsen-Duell der markanteste Unterschied zwischen den Kontrahenten: Göttingen ist Letzter mit durchschnittlich 30,6 Rebounds pro Spiel, Oldenburg ist Dritter mit 40,8.
Zwei Spieler verdienen noch eine besondere Betrachtung.
Bei Göttingen trumpft einer auf, den vielleicht nicht alle in dieser Form auf der Rechnung hatten (das schließt mich mit Blick auf meine Saisonprognose in gemütlicher Workshop-Runde ein): Till Pape. Der Forward, der im Dezember 25 Jahre jung wird, belohnt das in ihn gesetzte Vertrauen als Starter mit 15,0 Punkten pro Spiel. Das ist noch überraschender, wenn man auf seine bisherige BBL-Karriere schaut: In Ulm war er in drei Jahren ein klassischer Ergänzungsspieler mit überschaubaren Einsatzzeiten, bevor er 2019 nach Kirchheim in die ProA wechselte und dort kontinuierlich zur wichtigen Säule im Team reifte. Im Sommer nahm ihn die BG unter Vertrag.
Und in Oldenburg steht ein Akteur im Fokus, der eine Göttinger Vergangenheit besitzt: Rihards Lomazs. Der lettische Nationalspieler ist nachverpflichtet worden und soll den EWE Baskets auf den Guard-Positionen neuen Schwung verleihen – und die Dreierquote verbessern. Dort haben die Oldenburger noch akute Probleme, ihr Schnitt von 29,8 Prozent ist sehr überschaubar. Lomazs weiß, wie es besser geht: In Göttingen traf er 2021, wo er im Januar zum Team gestoßen war, satte 43,9 Prozent seiner Versuche.
Bevor er nun das Trikot der Oldenburger überstreift, war er für sein Nationalteam unterwegs: Beim 80:60 gegen Griechenland verwarf er alle fünf Schüsse aus der Distanz, beim 79:63 gegen Großbritannien hingegen versenkte er vier von sieben. Eine Quote, die er aus Oldenburger Sicht gerne mit an die Hunte bringen darf.
Beim Liga-Workshop gab ich übrigens noch eine andere Prognose ab: Oldenburgs MaCio Teague könnte zu einem jener „Players to watch“ werden. Nun: Auch das kam (bislang) irgendwie anders. Gegen Göttingen dürfte er nach der Verpflichtung von Lomazs wohl in die Zuschauerrolle rutschen … Ich lege mich (mal wieder) fest: Für ihn bleibt es schwer, wenn der Neue liefert und die anderen sich nicht verletzen.