Torben Rosenbohm

Freier Journalist aus Oldenburg

Another year in music

Man wird kulturellen Inhalten natürlich nicht gerecht, wenn man sie in Listen packt, aber am Ende eines Jahres ist es stets nahezu unvermeidlich, die persönlichen Favoriten zu küren. Das Musikjahr 2023 ist jetzt, Mitte Dezember, in the books – also darf auch heuer eine Auflistung dessen nicht fehlen, was sich bei mir am nachhaltigsten im Gehörgang festgesetzt hat. Eine wieder einmal bunte Mischung bei genauer Betrachtung – und wie schon im Vorjahr der Hinweis, die hier aufgeführten Alben nicht zwingend als Rangliste zu verstehen. Bei den Werken, über die ich selbst geschrieben habe, findet sich ein Link zu plattentests.de.

Lankum, „False Lankum“: Es gibt bei diesem Meisterwerk nur eine Herangehensweise, die ihm gerecht wird. Und die heißt im Kern: volle Konzentration. Denn nur wer alles drumherum ausblendet, Kopfhörer über die Ohren stülpt und sich ganz und gar auf die Kunst dieser Band einlässt, wird ihm näherkommen. Begreifen wird man das alles vielleicht nie vollständig, dafür wird man bei jedem Durchgang mit neuen Entdeckungen belohnt. Wer sich davon abhalten lässt, dass Folk in der Genrebezeichnung steht, ist selbst schuld.

Boygenius, „The Record“: Schon auf ihrer ersten gemeinsamen, selbstbetitelten EP überzeugten Boygenius in hohem Maße. Und auch auf lange Strecke im LP-Format passt einfach alles, wenn sich die ohnehin grandiosen Musikerinnen Julien Baker, Lucy Dacius und Phoebe Bridgers daranmachen, das Beste aus ihrer jeweils eigenen Klangwelt zu einem großen Ganzen zusammenzumischen. Ein Album mit Langzeitwirkung, das allerdings gleichzeitig direkt beim ersten Versuch zündet.

The National: „Laugh Track“: Zu Beginn des Jahres 2023 hatten The National bereits ein Album vorgelegt. „First Two Pages Of Frankenstein“ erreichte dabei nicht zwingend das Niveau der ganz großen Würfe der Band, allerdings sollte sich später im Jahr zeigen, dass es nur der erste Teil war. Im Herbst ließen die Musiker um Sänger Matt Berninger „Laugh Track“ folgen, und dort stimmte dann tatsächlich wieder fast alles. Große Songs, erhabene Momente, viel Liebe zu kleinen Gesten: ein großartiger zweiter Streich.

Sufjan Stevens, „Javelin“: Mit Spannung erwartet worden war die neue Arbeit des famosen Singer-Songwriters Sufjan Stevens, der seit vielen Jahren eine treue Fanschar mit feinen Stücken versorgt und auch unter Kritikerinnen und Kritikern zu den am meisten gefeierten Künstlern unserer Zeit zählt. Sufjan Stevens ist an den großen Erwartungen keinesfalls zerbrochen und präsentiert abermals einen Strauß an herausragenden Songs, die jeder für sich stehen und ebenso im Albumverbund herausragend funktionieren.

Julie Byrne begeisterte 2023 mit ihrem neuen Album. Bild: Tonje Thilesen

Julie Byrne, „The Greater Wings“: Mit einem bestechenden Feingefühl für tolle Songs hat sich Julie Byrne in diese Bestenliste gespielt. Es geht eher zurückhaltend zu auf „The Greater Wings“, was aber nur dazu führt, dass man noch genauer, noch intensiver zuhört. Kein einziger schwacher Moment verleidet das Gesamterlebnis, das eine Musikerin zeigt, von der gewiss noch viel zu erwarten ist.  (Review)

Sulphur Aeon, „Seven Crowns and Seven Seals“: Die Menge an Musik, die einem über das Jahr aus den unterschiedlichsten Gründen durchrutscht, ist enorm. Mal fehlt die Zeit, mal der Durchblick, dann wieder bleibt etwas beim Auschecken nicht hängen und gerät in Vergessenheit. Sulphur Aeon sind tatsächlich zunächst ganz an mir vorbeigegangen (warum auch immer), doch ein Tipp eines Freundes ließ mich aufhorchen. Hat sich gelohnt: „Seven Crowns and Seven Seals“ ist ein herausragendes Metalalbum, auf dem die instrumentale Klasse der Beteiligten (übrigens aus Nordrhein-Westfalen) ebenso stimmt wie die Gesangsleistung. Ein herrlicher Strudel aus Tempo, Härte und gelegentlichen Ruhemomenten.

Steven Wilson, „The Harmony Codex“: Es bedurfte einiger Durchgänge, um die Qualität des neuesten Solowerks aus dem Hause Steven Wilson zu begreifen. Dann aber klickte es doch noch, seitdem läuft „The Harmony Codex“ in schöner Regelmäßigkeit durch die Kopfhörer. Das Gespür für Melodien, der Spaß an der Liebe zum Detail und vor allem die Hingabe, mit der dieser Ausnahmemusiker komplette Alben einspielt, machen dieses Album zu einem besonderen.

Fortíð, „Narkissos“: Schon mit ihrem Vorgängerwerk beeindruckte diese Metal-Formation, die auf ihrem neuesten Album die Messlatte noch einmal ein gutes Stück nach oben rückt. In einem wilden Furor aus unterschiedlichen Stilen der harten Gangart lauern grandiose Melodien, waghalsige Instrumentalpassagen und ein präsenter Mann am Mikrofon, der die Toleranzgrenzen des Gelegenheits-Metalhörers mit Verve auslotet. Im Mittelteil entrückt die Band bewährten Maßstäben und erklimmt eine ganz eigene Welt. (Review)

Fortíð haben mit „Narkissos“ ein fulminantes Album eingespielt. Bild: Laura Diamond.

Mystery, „Redemption“: Vertreter des Progressive Rock respektive Progressive Metal neigen gelegentlich dazu, das Gespür für den Song zu verlieren. Inmitten der Präsentation der unbestritten außergewöhnlichen Handwerkskunst an den Instrumenten gerät der Fokus aus dem Blick. Mystery zählen nicht dazu, wie „Redemption“ unschwer zu entnehmen ist. Auf 75 Minuten bekommen wir zwar genretypisch die ganze Klaviatur des Könnens dargeboten, allerdings schafft es die Band stets, die vielen Ideen und Kunstgriffe in herausragende Songs zu gießen.

Hotel Rimini, „Allein unter Möbeln“ (Bild oben: Max Threlfall): Inmitten einiger wirklich guter Alben aus Deutschland (man denke nur an Niels Frevert, Husten oder Tristan Brusch) fand sich im Jahr 2023 dies bemerkenswerte Debüt. Hotel Rimini heißt die Band um Schauspieler und Sänger Julius Forster, die nicht nur musikalisch viele spannende Elemente zusammenbringt, sondern parallel textlich die Sinne schärft. (Review)

Je nach Stimmungslage beim Konsum der Alben sind die Übergänge zwischen den besten Zehn und den weiteren Schmuckstücken natürlich fließend, daher an dieser Stelle noch ein paar Tipps mehr, die einen intensiven Genuss ebenfalls wert sind:

Dylan LeBlanc, „Coyote“ (Review)

Christian Kjellvander, „Hold Your Love Still“ (Review)

Egyptian Blue, „A Living Commodity“ (Review)

Glen Hansard, „All That Was East Is West Of Me Now“ (Review)

Husten, „Aus einem nachtlangen Jahr“ (Review)

Blur, „The Ballad of Darren“

Motorpsycho, „Yay!“ (Review)

Youth Lagoon, „Heaven Is a Junkyard“ (Review)

Spotlights, „Alchemy For The Dead“ (Review)

Niels Frevert, „Pseudopoesie“ (Review)                                          

Tristan Brusch, „Am Wahn“

Host, „IX“

dEUS, „How To Replace It“

Paramore, „This Is why“

Katatonia, „Sky Void Of Stars“


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