Torben Rosenbohm

Freier Journalist aus Oldenburg

„Der beste Job der Welt“

Pedro Calles ist in der easyCredit Basketball Bundesliga längst kein Unbekannter mehr. Er coachte zunächst in Vechta, zuletzt zwei Jahre lang in Hamburg. Die Towers führte er zweimal in die Playoffs, zudem war er 2021/2022 mit dem Team im Eurocup aktiv. Als Spekulationen aufkamen, er könnte eventuell in seine spanische Heimat wechseln, folgte ein Entschluss: Calles blieb in Deutschland und unterschrieb einen Vertrag als Trainer bei den EWE Baskets Oldenburg. Übrigens für gleich drei Jahre.

Hier erwartet ihn eine durchaus kniffelige Aufgabe, denn die Oldenburger gehören nach ihrem Selbstverständnis in die Spitzengruppe der Liga und nicht auf Rang elf, wo sie in der vergangenen Saison landeten. Im Club Center an der Maastrichter Straße hat sich der 39-Jährige vor dem ersten Saisonspiel in Crailsheim (Sonntag, 2. Oktober, 18 Uhr) zu seinen Erwartungen an die Saison geäußert.


Pedro Calles, Sie arbeiten jetzt seit einigen Wochen als Headcoach mit dem neuen Team in Oldenburg zusammen. Welche Eindrücke haben Sie vom Club und von der Stadt?

Ich habe ausschließlich positive Eindrücke vom Club und seiner höchst professionellen Struktur. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass mich das nicht überrascht hat, da ich schon oft genug hier war – sei es als Gegner oder schlicht als Basketball-Fan in der Arena. Man kann einfach überall erkennen, wie viel Wert hier auf alle Details gelegt wird. Hinzu kommt die Tradition. Und zur Stadt: Ich kenne Oldenburg bereits ganz gut, da hier einige meiner Freunde leben, die ich in meiner Zeit in Vechta kennengelernt habe. Jetzt, da ich hier meine Arbeit und mein Familienleben zusammenbringen kann, muss ich klar sagen: Die Stadt bietet genau die richtige Mischung für das alles. Ich fühle mich wirklich sehr wohl.

Sie haben als Trainer bereits in Quakenbrück, Vechta und Hamburg gearbeitet, jetzt sind Sie bei uns in Oldenburg. Was ist so besonders am Norden, dass Sie praktisch hier heimisch geworden sind?

Pedro Calles bei der Saison-PK im Club Center (Foto: Rosenbohm).

(lacht) Nichts war geplant! Ich komme ja aus dem Süden Spaniens, nun bin ich tatsächlich schon lange im Norden Deutschlands. Meine Familie und ich wurden hier überall bisher außerordentlich gut aufgenommen, daher kann ich ausschließlich nur Gutes sagen. Vielleicht ist das das Besondere an dieser Ecke und ein Grund, warum es meine Familie und mich nicht in ein anderes Land oder zu einer anderen Kultur zieht. Respekt an die Menschen in Norddeutschland.

In diesem Sommer haben zahlreiche Nationalmannschaften Spaniens die Endspiele in Europameisterschaften erreicht. Was läuft dort besser als in anderen Ländern?

Zunächst einmal muss ich vorwegschicken: Ich habe allergrößten Respekt vor denen, die diese Erfolge möglich machen. Ich selbst habe damit ja gar nichts zu tun. Ja, ich komme aus Spanien, und natürlich bin ich ein wenig stolz und glücklich, dass diese Erfolge zustande gekommen sind. Wie gesagt: Den Respekt dafür verdienen andere. Man muss sagen, dass diese Erfolge ja nicht erst in diesem Sommer, der sicherlich einzigartig war, eingefahren wurden. Es gibt da einen längeren Trend. Schauen Sie sich alleine die Herren-Nationalmannschaft an: Sie hat sich über einen Zeitraum von 20 Jahren in den Top Vier etabliert. Sie waren, wenn ich mich richtig erinnere, dabei nur einmal außerhalb der Medaillenränge. Als ich ein Kind war, haben das in vergleichbarer Form einzig die Teams aus der damaligen Sowjetunion oder dem ehemaligen Jugoslawien geschafft. Und was sie besonders machen? Tradition und Leidenschaft sind groß in Spanien, und das betrifft nicht nur Basketball, sondern den ganzen Sport. Und damit wird früh begonnen: Schon in den Jugendteams gibt es eine exzellente Methodik, das Teamspiel zu lehren. Läuft das besser als in anderen Ländern? Das möchte ich nicht bewerten, aber ich habe von den Trainingsmethoden sehr profitiert.

Dann müssten Ihnen die Pläne von Club-Chef Hermann Schüller, einen Campus inklusive neuer Trainingshalle zu bauen, gefallen.

Das gefällt mir nicht nur, ich liebe diese Idee! Vor allem das „BASKita“-Projekt. Ich bin im Grunde kein Freund von Spezialisierung, sondern mag einfach die Herangehensweise, Kinder sehr früh mit dem Sport in Kontakt zu bringen. Das schult die Koordination, das Zusammenspiel, das Ballgefühl. Die Kinder profitieren von solchen Programmen sehr. Und auch die Tatsache, dass hier eine zusätzliche Halle entsteht, in der Kinder und Jugendliche in verschiedenen Altersgruppen zusammenkommen, ist prima. Wir schaffen eine neue Plattform und eine bessere Infrastruktur, um in die Nachwuchsarbeit zu investieren. Als Hermann mir die neue Strategie präsentiert hat, war das einer der ausschlaggebenden Gründe, nach Oldenburg zu kommen.

Das Leben als Headcoach ist intensiv. Versuchen Sie trotzdem, so viele andere Spiele wie möglich zu verfolgen und auch daraus zu lernen?

Vorab: Es ist ein intensiver Job, keine Frage. Aber für mich ist es der beste Job der Welt. Es ist meine Leidenschaft, meine Liebe – das alles ausleben zu können, löst bei mir große Dankbarkeit aus. Das Trainerdasein ist ein niemals endender Prozess. In dem Moment, in dem man glaubt, man hat jetzt alles drauf, beginnt man, sich in die falsche Richtung zu bewegen. Ich nehme mir keine feste Anzahl an Spielen vor, die ich verfolge, in meinem Kopf geht es aber die allermeiste Zeit des Tages über ohnehin nur um Basketball. Die Menschen an meiner Seite, auch meine Frau, wissen das (lacht). Es gibt Momente, in denen ich dann nicht so zuhöre, wie es eigentlich sein sollte … Man muss da eine gute Balance finden. Sagt sich einfach, ist es aber nicht.

Bevor wir uns Ihrem neuen Team zuwenden, lassen Sie uns einen Blick auf die Liga werfen. Wird es wieder ein Duell zwischen Berlin und München – und der Rest kämpft um das, was übrig bleibt?

Nun, ich sehe schon die beiden Clubs wieder in der Position, um den Titel zu spielen, aber – und das ist ein entschiedenes Aber – ich sehe zwei weitere. Das ist, und das kann nach der vergangenen Saison keine Überraschung sein, einerseits Bonn, das 2021/2022 ganz oben dabei war und die Bayern in ein fünftes Spiel gezwungen hat. Und es gibt Ludwigsburg. Die waren vor einem Jahr Erster nach der Hauptrunde! Ich stimme also zu: Es gibt zwei Top-Favoriten, aber sie sind nicht alleine. Vergessen dürfen wir nicht die Spielpläne in der Euroleague, die den Berlinern und den Münchnern vielleicht ein wenig von der Energie rauben, die sie in der Bundesliga eigentlich benötigen. Ohnehin spielen in dieser Saison sehr viele Mannschaften in europäischen Wettbewerben, das hat es in dieser Dimension meines Wissens noch nie gegeben. Die Hälfte der Liga ist dort unterwegs. Das hat sich übrigens in diesem Sommer gezeigt: Es war früher nicht der ganz große Faktor, ob der Club international spielt oder nicht, weil es einfach nicht so viele waren, die potenziellen Neuzugängen eben das bieten konnten. Es war eine Art „nice to have“. Bei der Suche nach Spielern hat das jetzt allerdings eine enorme Rolle gespielt: Wer nicht europäisch spielt, ist tatsächlich im Nachteil.

Sehen Sie es aus sportlicher Sicht als Vor- oder als Nachteil an, europäisch in dieser Saison nicht dabei zu sein? Einerseits kann es frischere Beine geben, andererseits weniger Rhythmus.

Für mich gilt: Ich bin ein Wettkampfmensch. Ich möchte mich immer auf dem höchstmöglichen Niveau messen. Aber als ich hierher kam, war mir ja klar, dass wir nicht dabei sind, da die Ergebnisse der letzten Saison nicht dazu berechtigten. Ich muss nun schauen, dass wir trotzdem das beste Level erreichen. Auch wenn wir vielleicht nicht den gleichen Spielrhythmus haben wie andere: Unter dem Strich müssen wir unabhängig von den Vor- und Nachteilen dieser Situation in jeder Trainingseinheit das Beste daraus machen und besser werden.

Sie würden also gerne in Zukunft international wieder mitmischen?

Wenn wir das können, natürlich! Ich möchte mich immer der nächsten Herausforderung zuwenden. Um es auf den Punkt zu bringen: Begrenze nicht deine Herausforderungen, sondern fordere deine Grenzen heraus! Das Reisen, das Duellieren mit anderen Trainern, mit anderen Systemen – das alles macht einen besser.

Geschäftsführer Hermann Schüller stattete Trainer Pedro Calles mit einem Vertrag über drei Jahre aus (Foto: Rosenbohm).

Was dürfen wir vom Oldenburger Team in dieser Saison erwarten?

Wir sind in einem Prozess, aber wir wollen natürlich eine klare Identität und ein klares Bild, wie wir spielen, haben. Dafür werden wir von der Defensive aus denken und daraus auch die Offensive entwickeln. Das heißt für uns, dass wir nicht konventionell oder traditionell agieren dürfen. Wir wollen den Gegner nicht in seiner Komfortzone ankommen lassen. Wir müssen aggressiv und gleichzeitig effektiv auftreten. Dabei geht es um die richtige Balance, denn Aggressivität kann auch dazu führen, dass an einer anderen Stelle des Feldes zu große Lücken entstehen. Offensiv geht es für uns vor allem um Geschwindigkeit, also um hohes Tempo. Und insbesondere um das Teamplay. Das „Wir“ muss im Vordergrund stehen, nicht das „Ich“. Wir haben vielleicht nicht zwingend die Spieler, die Probleme ganz alleine lösen können, das muss daher im Kollektiv geschehen. Gibt uns der Gegner eine Aufgabe auf, muss sie als Team beantwortet werden.

Wie würden Sie die Saisonvorbereitung bewerten? Es gab in Owen Klassen und Trey Drechsel zwei längere Verletzungsausfälle, zudem zeigten sich die Oldenburger Fans nach den beiden deutlichen Niederlagen gegen Bonn beunruhigt.

Verletzungen gehören leider dazu, auch in der Vorbereitung. Unter dem Strich muss ich mit Blick auf die Preseason festhalten: Wir sind ein komplett neues Team. Das betrifft nicht nur die Spieler, sondern auch den kompletten Trainerstab. Wir brauchen Zeit, um voneinander zu lernen, und um das Beste aus dem Einzelnen herauszuholen. Was Bonn betrifft, verstehe und respektiere ich die Sorgen der Fans sehr gut. Besonders der Test hier vor heimischer Kulisse war nicht einmal nah dran an der Art, wie wir spielen wollen. Aber wir sollten nicht vergessen: Die Bonner haben den Kern zusammengehalten und sind uns aktuell schlicht voraus. Harte Arbeit und viel Energie können diese Lücke, die momentan noch existiert, verkleinern. Wir müssen etwas aufbauen, das ist die Realität.

In den letzten 15 Jahren hat Rickey Paulding die Geschichten aus Oldenburg dominiert. Nun ist er nicht mehr hier. Macht das die Situation für Sie und das Team zu einer besonderen?

(lacht) Ich kann für mich sagen: Ich kam nach Oldenburg ohne Rickey. Oldenburg war immer Rickey, ich habe immer, wenn die Baskets der Gegner waren, gegen ihn antreten müssen. Aber das Oldenburg, was ich als Trainer hier nun kenne, ist ein Oldenburg ohne Rickey. Natürlich ist das für alle, die hier schon lange arbeiten, etwas ganz anderes. Davon abgesehen habe ich den allerhöchsten Respekt vor ihm und dem, was er hier geleistet hat. Ich bewundere ihn dafür.

Er wird genau hinschauen, im Oktober ist es er ja wieder hier.

Es ist ein Vergnügen, ihn wieder hier begrüßen zu dürfen!

Max DiLeo geht in seine fünfte Profisaison mit Ihnen als Headcoach, zuvor waren Sie gemeinsam in Vechta und Hamburg aktiv. Gibt es eine besondere Beziehung zu ihm? Was erwarten Sie von ihm als Kapitän?

Zunächst einmal: Er ist Kapitän, weil die Spieler ihn gewählt haben, damit habe ich als Trainer gar nichts zu tun. Ich würde die Beziehung nicht unbedingt speziell nennen, sie ist sehr professionell. Wir haben zusammen in Vechta und Hamburg immer gemeinsam versucht, die Ziele der Clubs zu erreichen. Ich schätze aber insbesondere das, was er auf dem Feld und abseits davon zeigt, und ich glaube, er schätzt auch meine Art zu coachen. Unsere Beziehung basiert auf Vertrauen und Respekt.

Auf dem Spielfeld, vor allem in der Verteidigung, kann er eine Vorbildrolle einnehmen, oder?

Auf jeden Fall! Das hat er schon in der Vergangenheit gezeigt, wenn er seinen Teams mit seiner Art definitiv geholfen hat. Er ist in dieser Hinsicht ein ganz wichtiger Teil für den möglichen Erfolg mit der Mannschaft.

Zu guter Letzt: Hermann Schüller hat den Fans versprochen, dass sich eine Saison wie die vergangene nicht wiederholt. Erhöht das den Druck?

Das war ein starkes Statement. Ich persönlich neige nicht dazu, Dinge zu versprechen. Aber was ich sagen kann: Natürlich wollen wir in die Richtung arbeiten, Oldenburg wieder dahin zu bringen, wo es schon einmal war. Das wird aber nicht einfach, die Herausforderungen in der Bundesliga sind enorm. Wir haben ein neues Team, wir brauchen Zeit – aber der Wille, die Motivation und das Verständnis für die Verantwortung sind vorhanden. Der Druck kommt aus dem Team selbst, nicht von außen.

Vielen Dank für das Gespräch!


Interview: Torben Rosenbohm, Titelfoto: Ulf Duda/fotoduda.de