Torben Rosenbohm

Freier Journalist aus Oldenburg

Mit Pauken und Trompeten

Der Duden ist nicht dafür bekannt, in irgendeiner Form ausschweifend zu langatmigen Erklärungen anzusetzen, sondern Dinge präzise auf den Punkt zu bringen. Wäre er eine Person, dann könnte man ihn sich als nüchtern-sachlichen Vertreter samt Krawatte vorstellen, der höflich in der Ecke steht und auf Nachfrage souverän seine pointierten Erläuterungen aufsagt. Also, Duden, was steckt denn nun hinter dem Begriff „Taumel“? „Schwindel[gefühl], Gefühl des Taumelns“, sagt er dann, und kurz bevor man sich mit einem höflichen Nicken des Dankes wieder abwenden möchte, ruft er einem hinterher: „Rauschhafter Gemütszustand, innere Erregung; Begeisterung, Überschwang.“ Ach, Du manchmal herrliche deutsche Sprache: Was so alles in einem Begriff stecken kann. Mit diesem Wissen im Hinterkopf muss man der vielköpfigen Hamburger Formation Meute großen Respekt zollen, denn der Titel „Taumel“ für dieses Doppelalbum trifft dann doch überaus exakt auf das zu, was einen auf rund 80 Minuten Spielzeit im steten Wechsel erfasst.

Und nebenher natürlich auf das, was die Band in den zwei Jahren vor der Veröffentlichung selbst durchgemacht hat; ausgebremst wie so viele andere, nervös wartend statt unermüdlich auftretend. Das elfköpfige Ensemble, das 2015 ins Leben gerufen wurde, zelebriert seit seiner Gründung eine unwiderstehliche Verquickung von Techno und Marching-Musik. Zwar ist „Taumel“ inzwischen das dritte Studioalbum, allerdings findet sich der eigentliche Lebensmittelpunkt im ortsunabhängigen Livevortrag. Klar, auch auf klassischen Clubbühnen sind Meute zuhause, doch gerade die Wahl außerordentlicher Lokalitäten macht den speziellen Reiz der ungemein fleißigen Band aus. Meute waren bereits auf dem Dach der Elbphilharmonie in Sachen Beats und Bläsern im Einsatz, in einem Swimming Pool oder in schöner Regelmäßigkeit in Fußgängerzonen. Wer das schon mal miterlebt hat, möchte es immer wieder sehen, hören und fühlen; wer es bis dato verpasst hat, sollte die nächste Gelegenheit zwingend nutzen.

„Taumel“ ist nach „Tumult“ und „Puls“ das dritte Werk, das Bandleader und Trompeter Thomas Burhorn mit seinen zahlreichen Mitstreitern im Studio eingespielt hat. Um es kurz zu machen: Es ist die bislang beste Umsetzung des eigenen Schaffens im Albumgewand. Schimmerte auf den Vorgängern gelegentlich noch das Gefühl durch, dass sich die Klangkunst von Meute doch nur sehr bedingt abseits der Live-Performances in entsprechende Studioproduktionen gießen lässt, setzt „Taumel“ ein kräftiges Zeichen. Unterlegt sind die Stücke stets mit einem eingängigen Beat, der sofort in die Beine geht, nach und nach gesellen sich die Instrumente hinzu, tauchen gerne zwischendurch ab, um doch wieder zurückzukehren. Mal regiert ein wilder Wirbel, mal clever inszenierter Minimalismus – und stets im Mittelpunkt: die große Spielfreude. Songs wie „Slow loris“ oder „Down the wall“ ziehen einen immer tiefer hinein, später steigert sich „Solar Detroit“, im Original von Maceo Plex, in einen permanenten Kopfnicker-Taumel und schleicht sich zwischendurch fast fort. Ein Spätherbst-Album, das Lust auf den Frühling macht, und sogar mal ungewohnte Ausflüge in Richtung Gesang unternimmt. Und Herr Duden? Der tanzt selig lächelnd in seiner Ecke.


Das neue Album von Meute (Label: Tumult, VÖ 18.11.2022, Bild oben: wozniak) ist bei allen gängigen Streaming-Plattformen verfügbar und in diversen Formaten auch physisch erhältlich. Einen Überblick gibt es auf der Website der Band.

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