Seit dem vergangenen Sommer zeichnet DeWayne Russell bei den EWE Baskets Oldenburg für den Spielaufbau verantwortlich. Der US-Amerikaner hat sich zu einem der besten Spieler in der easyCredit Basketball Bundesliga entwickelt. Längst wurde es Zeit für ein ausführliches Gespräch mit dem 29-Jährigen – und passend am Tag des Interview vermeldeten die Baskets die Vertragsverlängerung bis 2025.
DeWayne, du hast in jungen Jahren deinen Vater verloren. Wie sehr hat dich das in deiner Entwicklung als Mensch und als Basketballspieler geprägt?
Es war ein Moment, in dem ich aus etwas sehr Negativem etwas Positives formen wollte. Ich habe zwei jüngere Brüder, und es hat dazu geführt, dass ich schneller erwachsen werden musste. Im Hinblick auf den Sport hat es mir dabei geholfen, mit meinen Emotionen umzugehen und mich auf den Basketball zu fokussieren. Basketball wurde mein Ausweg, dort konnte ich richtig abtauchen und das Beste aus mir herausholen.
Dein Onkel half dir dann beim Aufwachsen.
Es gab ja auch noch meine Mutter, aber jedes Kind benötigt auch eine Vaterfigur. Mein Onkel hat diese Rolle übernommen; er hat mich auf den Weg gebracht, zu einem Mann heranzureifen.
Am College war der ehemalige NBA-Spieler Dan Majerle dein Coach. Welchen Einfluss hatte er auf deine Entwicklung als Spieler?
Einen großen! Er war in der NBA aktiv, und er hat mir einen Einblick gegeben in das, was notwendig ist, um ein Profi zu werden. Von ihm bekam ich die notwendigen Hinweise, welche Art der Arbeit ich investieren muss, um wirklich professionell vorzugehen. Außerdem war er für mich, der ohne Vater aufgewachsen ist, eine weitere Person, die mir gezeigt hat, wie ich erwachsen werde. Es war wirklich sehr bedeutend für mich, ihn in der Phase meines Lebens an der Seite zu haben.
In Artikeln über dich und deine Zeit am College liest man immer wieder, dass früh auffiel, dass du den Ball gerne passt und deine Mitspieler besser machen möchtest. Wenn ich deine Zahlen und dein Spiel betrachte, lässt sich feststellen: Das ist dir noch immer wichtig.
Auf jeden Fall! Ich möchte immer, dass meine Teamkollegen gerne mit mir zusammenspielen. Und natürlich möchte ich ihnen in bestimmten Situationen helfen, denn auch sie unterstützen mich auf ihre Weise. Das möchte ich zurückgeben und sie immer mit einbeziehen. Daher schaue ich stets: Wo ist die beste Position, in die ich sie jetzt bringen kann? Es macht mich stolz, ein guter Teamspieler zu sein und andere besser zu machen.
Das College, für das du drei Jahre aktiv gewesen bist, ist nicht unbedingt bekannt dafür, viele Profibasketballer hervorzubringen. Bist du umso dankbarer, dass es bei dir funktioniert hat?
Als ich zum Team von Grand Canyon ging, war es eine Mannschaft in der zweiten Division. Sie waren auf dem Weg, ein Division-One-Team zu werden, und tatsächlich sind nicht allzu viele Profis daraus hervorgegangen. Ich hatte einfach Glück, die richtigen Coaches zu haben, von denen ich so viel lernen durfte, was mich am Ende zum Profi hat werden lassen.
Verfolgst du die College-Spiele immer noch?
Ein bisschen. Man darf nicht vergessen, dass die Spiele laufen, wenn es hier drei Uhr morgens ist. Daher versuche ich, zumindest die Highlights zu schauen.
Deine Karriere als Profibasketballer begann in Europa. War das ein großer Schritt für dich?
Das war schon hart. Aber es gab zwei Faktoren, die mich damals gerettet haben. Erstens meine Liebe zum Basketball und die Tatsache, dass ich mich voll und ganz auf das Spielen konzentrieren konnte, ohne zusätzlich Vorlesungen besuchen zu müssen. Außerdem war meine Ehefrau, die ich schon am College geheiratet habe, mit dabei. Wir konnten gemeinsam durch bestimmte Situationen gehen, die andere hier alleine bestreiten müssen. So konnten wir hier immer zusammen unsere Erfahrungen machen.
An diesem Samstag spielt ihr gegen Bonn. Trainer dort ist Tuomas Iisalo, den du aus deiner Zeit bei den Merlins aus Crailsheim kennst. Was macht ihn besonders?
Er ist ein harter Arbeiter, er lernt immer dazu und wächst immer weiter. Tuomos ist in der Lage, Spieler weiterzuentwickeln. Schaut man auf die vergangenen Jahre, hatte er immer gute Point Guards, denen er viel mitgegeben und sie noch besser gemacht hat.
Stichwort Point Guards: Du triffst auf TJ Shorts. Ist das ein besonderes Aufeinandertreffen? Alle sprechen momentan über das MVP-Rennen.
Um ehrlich zu sein: Ich persönlich erwarte von diesem Duell gar nicht so viel Besonderes. Er hat sein Team und versucht, es zu lenken, ich habe mein Team und versuche das gleiche. Jeder drumherum wird sich natürlich auf uns konzentrieren, aber es ist unter dem Strich einfach nur: Oldenburg gegen Bonn. Wir versuchen nur, unser Bestes zu geben.
Was denkst du selbst über die MVP-Diskussion?
Ich mache mir darüber nicht so viele Gedanken. Mein Fokus gilt dem Team, die Debatte über den MVP ist eher unterhaltsam für die Fans oder für die Liga als Ganzes. Meine Teamkollegen sollen immer wissen: Ich gebe mein Bestes nicht für mich persönlich, sondern für uns als Gruppe. Für mich ist es wichtig, dass wir unseren Stil spielen und kontinuierlich besser werden.
Die tausendfachen „MVP“-Rufe beim TOP FOUR in Oldenburg müssen aber dennoch gutgetan haben.
Daran bedeutet mir vor allem die Tatsache etwas, dass es unsere eigenen Fans waren, die mir diesen Respekt entgegengebracht haben. Sie waren während der ganzen Saison schon so toll, und ich möchte ihnen etwas durch gute Leistungen zurückgeben. Ihre Anerkennung ist mir wirklich sehr wertvoll!
Ihr könnt euch in dieser Saison voll und ganz auf die nationale Liga konzentrieren. In Treviso, wo du vorher gespielt hast, seid ihr in der Champions League vertreten gewesen. Wie sehr vermisst du die Spiele im europäischen Wettbewerb?
Das fehlt mir sehr. Diese Spiele geben dir als Team die Möglichkeit, noch besser zusammenzuwachsen und als Mannschaft noch enger zusammenzurücken. Jeder spürt in diesen Spielen die besondere Intensität, das ist eine große Bühne. Die Spiele beim TOP FOUR beispielsweise haben mich an diese Intensität erinnert, das Gefühl war mit den Begegnungen auf internationaler Ebene zu vergleichen.
Ich habe heute Vormittag in der Pressemitteilung zu deiner Vertragsverlängerung unter anderem gelesen, dass du es genießt, unter Trainer Pedro Calles zu spielen. Was bedeutet dir diese Zusammenarbeit?
Er ist schon lange als guter Trainer bekannt, und es gibt viele Geschichten über seine Qualitäten. Es ist für mich etwas ganz Besonderes, jetzt sein Spieler zu sein, denn ich habe ihn schon aus der Distanz beobachtet, als ich noch in Crailsheim und er in Vechta war. Ich hatte immer den größten Respekt vor der Art und Weise, wie seine Teams aufgetreten sind. Und jetzt, wo ich ihn persönlich kennengelernt habe, ist es einfach eine tolle Situation. Er hilft mir als Mensch und als Spieler, und ich glaube, ich habe dank ihm den nächsten Entwicklungsschritt gemacht und verstehe jetzt noch besser, was Basketball wirklich bedeutet.
Lass und die beiden vergangenen Spiele noch kurz ausblenden und über die Saison bis dahin sprechen. Bist du zufrieden mit dem, wie es bislang gelaufen ist?
Die Saison bisher war – lass muss kurz über das passende Wort nachdenken – eine Art Wachstumsprozess. Wir sind in nahezu jedem Spiel ein bisschen besser geworden. Und was uns besonders auszeichnet ist der Umstand, dass wir immer alles geben. Da ist Feuer, da ist Leidenschaft und da ist der unbedingte Wille. Es wird Schritt für Schritt immer besser. Wenn man es in Ruhe und ein wenig aus der Distanz betrachtet, dann sieht man: Wachstum.
Schauen wir, auch wenn es ein wenig schmerzt, kurz auf die beiden letzten Spiele – oder besser: auf das letzte Viertel in Bayreuth und die Partie gegen Heidelberg. Gibt dir das Anlass zur Sorge oder empfindest du es eher als das, was ich persönlich erkenne: eine durchaus normale Schwächephase, wie sie fast ausnahmslos jedes Team im Saisonverlauf erlebt?
Ich glaube, genau das, was du sagst, ist richtig. Jedes Team kommt an einen Punkt, wo einerseits die Dinge nicht so laufen, wie man sie sich vorstellt, und wo man durch eine echte Prüfung geht. Momentan sind wir in einer solchen Phase. Teil unserer Kultur ist es, dagegen anzukämpfen und das auszuhalten. Ich bin davon überzeugt, dass auf lange Sicht diese zwei oder drei Spiele, die wir jetzt durchstehen müssen, der Grund sein werden, warum es eine erfolgreiche Saison wird. Wir hatten in der ganzen Saison Herausforderungen zu überstehen, beispielsweise durch Verletzungen. Ich verstehe es als Prüfung.
Es gab im Team einige Veränderungen, vor allem auf der Guard-Position. Bennet Hundt begann die Saison bei euch und wechselte nach Heidelberg, Rihards Lomazs wurde nachverpflichtet und erlitt eine Verletzung, die ihn mindestens bis zum Sommer ausfallen lässt, MaCio Teague spielt mal und mal nicht, zuletzt kam Hassani Gravett hinzu. Ist das alles Teil des Geschäfts oder eine besondere Aufgabe?
Das ist schon hart. Vor allem vor dem Hintergrund, dass in unserem System die Guard-Positionen sehr wichtig sind. Da muss man schon sehr genau wissen, was verlangt wird. Und man kommt nicht mal eben dazu und weiß sofort, wie es zu laufen hat. Es benötigt eine Weile, bis man das alles verinnerlicht hat. Schau dir Hassani an: Er wird von Spiel zu Spiel besser. Bei Rihards war es bis zu seiner Verletzung dasselbe. Es wird spannend sein, wie es ausschauen wird, wenn wir als Team das nächste Level erreichen. Da wird noch einiges passieren.
Fiel dir die Entscheidung, deinen Vertrag vorzeitig zu verlängern, leicht? Oder lass es mich so formulieren: Nach allem, was ich gehört habe: Wie leicht fiel es dir?
(lacht) Da gibt es einige Faktoren. Zunächst einmal muss ich Coach Pedro nennen, der erkannt hat, dass dies ein Ort ist, an dem ich mich weiterentwickeln kann. Dann muss ich aber auch ebenso die ganze Organisation hier nennen, die Leute sind wirklich großartig. Auch meine Familie fühlt sich hier sehr, sehr wohl. Hinzu kommen die Stadt und die Fans, und so habe ich erkannt, dass ich Oldenburg wirklich als mein Zuhause definieren möchte. Und als jetzt die Chance bestand, den Vertrag zu verlängern, war ich sehr glücklich!
Rickey Paulding ist ein gutes Beispiel, wie sehr man sich hier trotz vieler anderer Angebote langfristig wohlfühlen kann. Das ist schon etwas lustig, denn ich habe immer wieder diese Geschichten über Rickey gehört. Und ich habe mich immer wieder gefragt: Warum bleibt einer so lange dort? Bis ich hier herkam und nach wenigen Monaten erkannte: Deshalb war er hier 15 Jahre!
Alle Bilder: Ulf Duda / fotoduda.de