TJ Holyfield war es am späten Sonntagnachmittag vorbehalten, die letzten acht Punkte der EWE Baskets Oldenburg in der regulären Saison zu erzielen, und damit gelang ihm beim 88:76 gegen den FC Bayern München durchaus Symptomatisches. Denn: Starke Momente von Akteuren, die ansonsten vermeintlich unscheinbar ihr Tagwerk verrichten, sind ein Faktor von vielen, die den Erfolg der Oldenburger in der Saison 2022/2023 möglich machen. Mit einer Bilanz von 22:12 Siegen haben sich die Niedersachsen den vierten Platz im Klassement gesichert und gehen mit Heimvorteil in die Viertelfinalserie gegen die MHP RIESEN Ludwigsburg.
Zur Erinnerung: Im Vorjahr landeten die EWE Baskets auf dem elften Platz und hatten eine längere Phase des Bangens um die sportliche Zukunft hinter sich. Statt Playoff-Vorfreude bestimmte zwischenzeitlich das Zittern um den Klassenerhalt die Szenerie.
Nie mehr werde es eine solche Saison geben, kündigte Clubchef Hermann Schüller im Sommer selbstbewusst an. Als erster Schritt erfolgte die Verpflichtung des neuen Trainers Pedro Calles. Die Oldenburger verzichteten auf eine Weiterbeschäftigung von Ingo Freyer, der ihnen mit einem starken Schlussspurt die Erstligazugehörigkeit gesichert hatte. Freyer ging so als Kurzzeit-Erscheinung in die Historie der EWE Baskets ein, Calles – mit einem Drei-Jahres-Vertrag ausgestattet – soll eine neue Ära prägen.
Auch im Kader gab es viele Wechsel, wenngleich ein Kern an bekannten Akteuren gehalten werden konnte. Zudem verließ das Gesicht des Teams – oder besser: des Oldenburger Basketballs – die Stadt: Rickey Paulding beendete seine Karriere. Ein klassischer Neuanfang also.
Stimmungskiller in der Vorbereitung
Bei allem Respekt vor den Erfahrungen aus der über weite Strecken verstolperten Vorsaison: Die Erwartungshaltung in Oldenburg ist generell nicht die kleinste. Diesen Rucksack nahmen Calles und sein Team mit in die neue Spielzeit, was sich an den Reaktionen auf die letzten Vorbereitungsspiele äußerte. Nach zwei derben Niederlagen gegen Bonn ließen Hohn und Spott in den Kommentarspalten nicht lange auf sich warten, die Furcht vor einer Fortsetzung des Mittelmaßes überstieg die Vorfreude auf die neue Saison (und die neue Mannschaft).
Dann ging es tatsächlich los – und die EWE Baskets waren bereit. Blickt man auf die Schlüsselspiele in den nationalen Wettbewerben, dann lieferten die Oldenburger in den ersten Saisonwochen davon gleich mehrere. Zuerst zu nennen ist der Auftakt: Das 95:82 bei den HAKRO Merlins Crailsheim bewies sowohl dem Anhang als auch allen auf dem Spielfeld Beteiligten, vorbereitet zu sein für den Ernstfall. Zudem setzte der neue Point Guard DeWayne Russell unmittelbar ein Zeichen, als er sich mit 23 Punkten zum Topscorer krönte. Die weitere Entwicklung ist bekannt: Der US-Amerikaner wurde am Ende der Saison als bester Offensivspieler der Liga gewählt und avancierte mit durchschnittlich 20,3 Punkten pro Partie zum erfolgreichsten Korbschützen der Bundesliga.
Lehren aus einer Niederlage
Nur zwei Wochen später legten der neue Kapitän Max DiLeo und seine Kollegen in Würzburg den Grundstein für etwas, das einige Monate später zu einem ersten Saisonhöhepunkt führen sollte: Mit einem hart erkämpften 91:87 überstanden sie das erste Do-or-die-Spiel des Jahres und zogen in die zweite Runde des MagentaSport BBL Pokals ein. Überragender Mann auf dem Parkett: Neuzugang Tanner Leissner, der 24 Punkte erzielte. Wie groß sein Wert für die Mannschaft sein würde, zeigte sich spätestens, als er im letzten Saisondrittel vorübergehend verletzt ausfiel …
Schlüsselspiele können übrigens auch solche sein, die schieflaufen. Ein solches erlebten die EWE Baskets in Heidelberg, als sie nach einem vermeintlich großen Wurf von Russell einen noch größeren Moment durch Shy Ely mit ansehen mussten. Eine vermeidbare Schlappe wurde durch die Mannschaft entschlossen durch vier Siege in Folge beantwortet. Die Kompetenz, aus Fehlern zu lernen, sollte sich 2022/2023 zu einem wesentlichen Erfolgsfaktor entwickeln.
Im weiteren Saisonverlauf etablierte sich die Mannschaft in den Playoffrängen, früh ahnend, dass die Konkurrenten aus Bonn, Berlin und München offenbar Schritt für Schritt (und später endgültig) außer Reichweite geraten würden. Ein Schlüsselspiel in mehrfacher Hinsicht stand im Februar auf dem Plan. Die EWE Baskets hatten den Zuschlag für die Ausrichtung des TOP FOUR erhalten und stemmten binnen weniger Wochen ein grandioses Turnierwochenende aus dem Boden, das den Verantwortlichen viel Respekt einbrachte.
Meilenstein TOP FOUR
Aber auch sportlich und emotional gerieten die beiden Spieltage zu einem großen Schritt. Das Halbfinale gegen die MHP RIESEN Ludwigsburg entwickelte sich zu einer ungemein intensiven Angelegenheit, bei der die Oldenburger einen echten Kern ihres Tuns zu ihrem Vorteil nutzten: den unbedingten Einsatz. Selbst ein zwischenzeitlicher 17-Punkte-Rückstand konnte sie nicht ausbremsen, und so standen nach 40 packenden Minuten der Sieg und der Finaleinzug fest. Und, für den Fortgang vielleicht noch viel wichtiger: Allerletzte Zweifel am Neuanfang waren ausgelöscht, die Last der Vorsaison abgeschüttelt – der Rucksack mit den hohen Erwartungen wurde deutlich leichter. Daran konnte die Niederlage im Endspiel gegen furios aufspielende Bayern nichts mehr ändern.
Die reguläre Saison hielt derweil noch eine besondere Phase bereit. Auf eine irritierende Niederlage beim Tabellenschlusslicht medi bayreuth folgten drei weitere Schlappen in Serie. Die eine oder andere Verletzung hatte die Oldenburger aus dem Tritt gebracht, die Abläufe im Offensivspiel wirkten unrund, die Verteidigung ungewohnt lückenhaft. Die Folge: Das Gastspiel bei den NINERS Chemnitz wurde zum nächsten Schlüsselspiel. Und wieder gelang es der Mannschaft, der Herausforderung passend zu begegnen. Das 91:89 war gleichermaßen Wendepunkt und Grundsteinlegung für die Verteidigung des vierten Platzes (wenngleich die EWE Baskets auch davon profitierten, dass die unmittelbaren Konkurrenten aus Göttingen und Ludwigsburg regelmäßig Punkte liegen ließen).
Und ganz sicher kein Zufall war, dass die Rückkehr von Tanner Leissner nach seiner Verletzung gleich mit einem Erfolg endete. Ihn und seine Kollegen beleuchte ich übrigens zu einem späteren Zeitpunkt dieser Woche.
Fazit: Die EWE Baskets Oldenburg haben in der ersten regulären Saison nach der Ära von Rickey Paulding eine sehr ordentliche Bilanz hingelegt, die Begeisterung für den Club nachhaltig wiederbelebt (die Arena war fast regelmäßig ausverkauft) und die Vorfreude auf die Playoffs mit Entschlossenheit entfacht. Ab Dienstag, 16. Mai, geht es gegen die MHP RIESEN Ludwigsburg rund – und auch diesem Duell widme ich mich noch ausführlich.