Auf den ersten Blick befinden sich die EWE Baskets Oldenburg mit ihrer Bilanz in der easyCredit Basketball Bundesliga in bester Gesellschaft. Der große Titelkandidat FC Bayern München? Hat nach dem achten Spieltag dasselbe Resultat eingefahren wie die Niedersachsen, und auch der Vizemeister und Champions-League-Gewinner der Vorsaison aus Bonn reiht sich hübsch ein – 5:3 Siege markieren die nackten tabellarischen Werte dieser drei ambitionierten Clubs.
Auf den zweiten Blick gestaltet sich die Lage etwas komplizierter. Denn das 67:85 am Samstagabend gegen Aufsteiger RASTA Vechta war nicht nur eine unerwartet deutliche Niederlage, sondern bot in vielerlei Hinsicht Anlass zu Sorgen. Hinzu kommt: Es war die dritte Pflichtspielschlappe am Stück, aus den letzten fünf Begegnungen holten die Oldenburger nur einen Sieg in Crailsheim. Der Negativtrend hat aktuell zwei Folgen: In der Champions League steht am 28. November praktisch schon ein Do-or-die-Spiel gegen Oostende auf dem Programm, in der easyCredit BBL ist der Anschluss an die vordersten Plätze vorerst abgerissen.
In der Form von Samstagabend gehören die Oldenburger dort oben aber auch schlicht nicht hin.
Gewiss sind bei genauerer Betrachtung des vollkommen missratenen Derbyabends, nicht nur aus reiner Höflichkeit, die verletzungsbedingten Sorgen nicht auszublenden. Während der lange Ausfall von Alen Pjanic schon vor Saisonbeginn als unverrückbarer Fakt feststand und entsprechend eingeplant werden konnte, wiegt die schwere Fußblessur von Brekkott Chapman unübersehbar schwer. Gegen Vechta fiel auch noch Max DiLeo aus – der Energizer, Kapitän und defensive Anker fehlte augenscheinlich an allen Ecken und Enden. Da auch noch der zuletzt nachverpflichtete Geno Crandall integriert werden musste (dieser Prozess wird noch einige Zeit andauern, darüber hinaus stellt sich auch hier eine Frage: Klafft nicht auf den großen Positionen eine noch viel größere Lücke nach Chapmans Verletzung?), gab es neue Rollenverteilungen, neue Aufgaben und neue Herausforderungen.
An diesem Bündel indes verhoben sich die Oldenburger gegen Vechta mächtig.
In einer von Beginn an aus Oldenburger Sicht in vielen Arena-Bereichen merkwürdig verhaltenen Atmosphäre hatten die EWE Baskets Mühe, einen Weg in die Partie zu finden. Nur in wenigen Phasen sollte ihnen das in der Folge überhaupt gelingen. Vechta machte den EWE Baskets schmerzhaft vor, wie ein defensiver Plan umgesetzt und in der Offensive die richtigen Personen in Szene gesetzt werden. RASTA, auswärts bislang noch ohne Saisonsieg, trat mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein auf und wirkte in den vielen kleinen Duellen um den Ball ganz oft eine Prise entschlossener. Einen Kampf um jeden Ballbesitz hatte Vechtas 18-jähriger Center Johann Grünloh vorher erwartet – dieser Kampf ging mehrheitlich an die Gäste.
Die Lücken, die Oldenburg defensiv offenbarte, nutzte die Mannschaft von Trainer Ty Harrelson mit bemerkenswerter Entschlossenheit zum allerersten Bundesligasieg in Oldenburg. Die Gäste profitierten zudem von einem – erneut – herausragenden Auftritt ihres Point Guards Tommy Kuhse, dessen Wechsel von Ludwigsburg nach Vechta einem Vollbad im Zaubertranktopf gleichkommt. 27 Punkte erzielte der US-Amerikaner, zudem verteilte er neun Assists, sammelte sechs Rebounds und strahlte eine unwiderstehliche Spielkontrolle aus.
Die EWE Baskets wiederum mussten nach dem Spiel erst einmal ihren gewöhnlich offensiv höchst verlässlichen Topscorer aufrichten, der einen beispiellos schlechten Abend erwischte. Ja, er verteilte starke sieben Assists – aber ansonsten begab er sich mit Schwung in eine unbarmherzige Negativspirale, die ihn in tiefste Tiefen des statistischen Grauens beförderte: Russell versuchte es 16-mal aus dem Feld, und 16-mal verfehlte er das Ziel.
Rätselhaft wie der gesamte Auftritt der Oldenburger bleibt zudem die Situation um Kyle Foster. Der US-Amerikaner, im Sommer mit einem Zwei-Jahres-Vertrag ausgestattet, ist wie von Zauberhand einfach von der Bildfläche verschwunden. Nicht nur, dass er erneut gar nicht im Kader stand – wie schon gegen Ulm und in Oostende saß er nicht einmal neben seinen zwangspausierenden Kollegen hinter der Bande. Kein Wunder, dass sich inzwischen nicht wenige fragen, was hier abseits bloßer sportlicher Unzufriedenheit in der Zusammenarbeit mit dem eigentlich als Distanzschuss-Spezialisten rekrutierten 26-Jährigen schiefgelaufen ist.
Ist nun tatsächlich alles schlecht? Nun: Bei den Spielen in Izmir und vor allem daheim gegen Ulm fehlte zuletzt tatsächlich nicht viel, um die Begegnungen für sich zu entscheiden. Unter der Woche allerdings deutete sich schon beim Besuch in Oostende an, dass die EWE Baskets ein wenig in Schieflage zu geraten drohen. Das zweite Viertel (19:36) gestaltete sich defensiv chaotisch, die dritte Niederlage im dritten Gruppenspiel der Champions League war die fast schon logische Folge. Gegen Vechta wiederum machten die Oldenburger zu fast keinem Zeitpunkt den Eindruck, als könnten sie den Derbyabend erfolgreich bestreiten. Eine kurze Phase zu Beginn der zweiten Halbzeit entpuppte sich als Strohfeuer, das die Gäste vergleichsweise mühelos mit ihrem klaren Plan austraten.
Trainer Pedro Calles steht mit seinen beiden Assistenten vor großen Aufgaben. Die Defensive, auf die der Spanier so viel Wert legt, erweist sich noch als zu durchlässig, gleichzeitig stockt die Offensive regelmäßig. Wenn dann noch ein gewöhnlich verlässlicher Akteur wie DeWayne Russell alles danebenwirft, geht unter dem Strich praktisch gar nichts mehr. Über die taktischen Erfordernisse hinaus ist Mentalarbeit gefordert, denn der Negativtrend wird schon beim kommenden Spiel auf eine harte Probe gestellt: In Tübingen wartet der nächste Aufsteiger auf die Oldenburger. Die Tigers haben sich am Wochenende mit einem Sieg in Braunschweig zurückgemeldet.
Im Anschluss folgt eine durchaus bizarre Phase im Spielplan: Viermal am Stück treten die EWE Baskets zunächst zuhause an: Im ungemein wichtigen Europapokalspiel gegen Oostende, gegen das Team der Stunde aus Chemnitz, wiederum in der Champions League gegen den Gruppenzweiten Pinar Karsiyaka und schließlich in der BBL gegen Titelanwärter Berlin. Um hier bestehen zu können, ist ein stabiles Konstrukt gefordert – nach einem solchen sehen die Oldenburger aktuell nicht aus. Und im Anschluss müssen große Koffer gepackt werden: Vier Auswärtsspiele beschließen das Kalenderjahr 2023.
Stichwort gute (beziehungsweise: schlechte) Gesellschaft: Noch schlimmer als den Oldenburgern erging es am Sonntagabend ALBA BERLIN. Der einstige Serienmeister kam daheim gegen den SYNTAINICS MBC mit 75:108 unter die Räder. Es knirscht offenkundig auch andernorts im ersten Saisonviertel gewaltig.
Der Beitrag hat dir gefallen? Das würde mich freuen. Verbesserungsvorschläge kannst du per E-Mail an mich senden. Und wer sich mit einem kleinen Betrag finanziell beteiligen und mich bei der Weiterentwicklung dieser Seite finanziell unterstützen möchte, kann das unter diesem Link per PayPal tun. Danke für dein Interesse an meinem Blog!