Spieler kommen, Spieler gehen, nur die Mantaplatte bleibt. Egal, in welcher Liga die Artland Dragons aus Quakenbrück auflaufen: Basketballfans können sich seit jeher am Verkaufswagen vor der Arena in der Jahnstraße auf diese feste kulinarische Größe aus Pommes und Currywurst verlassen. Am Ende eines außergewöhnlichen Abends im Februar 2023 zeigt sich übrigens genau an dieser Stelle das einzige Problem, das einem entgegenkommt: Die Mayonnaise ist alle. Ansonsten gibt es gerade nicht viel zu meckern im Artland, ganz im Gegenteil.
Wer das Phänomen Artland Dragons verstehen möchte, muss seinen Blick zunächst in die Vergangenheit richten. Der gar nicht mal so kleine Club aus Niedersachsen kann auf eine bemerkenswerte Historie zurückschauen, die ab 2003 in der Basketball-Bundesliga geschrieben wurde, 2008 in einem Pokalsieg gipfelte und 2015 ein Ende fand, das letztlich aber gar kein richtiges war.
Mit einem gewissen Chris Fleming, der inzwischen in der NBA arbeitet, als Trainer an der Seitenlinie stiegen die Artland Dragons, die ihre Wurzeln im TSV Quakenbrück haben, 2003 in die Basketball-Bundesliga auf. Unter anderem war Daniel Strauch an einer furiosen Zweitligasaison beteiligt, in der die Drachen aus der Samtgemeinde Artland unbesiegt Meister wurden und den Sprung in die höchste deutsche Spielklasse schafften. Strauch wechselte im Sommer nach dem Coup in Richtung Oldenburg und blieb hier bis 2010 als Profi aktiv.
Die Dragons pflegten ihr Image als vermeintlicher Dorfclub (Quakenbrück hat immerhin über 13.000 Einwohner) und ewiger Underdog, durften sich aber eben auch auf ihre potenten Geldgeber und das Geschick ihres damaligen und langjährigen Managers Marko Beens verlassen, auf den später Alexander Meilwes folgte. Vor allem der ehemalige Nationalspieler Günter Kollmann tat sich als langjähriger und verlässlicher Hauptsponsor und zentraler Förderer hervor. Und half durch sein Engagement auch dabei mit, dass die Quakenbrücker sich kontinuierlich in europäischen Wettbewerben messen durften.
Den Dragons gelang es immer wieder, spektakuläre Verpflichtungen zu tätigen. Große Namen waren als Trainer aktiv (unter ihnen Fleming, Stefan Koch, Thorsten Leibenath oder Tyron McCoy), außerdem gingen Spieler wie Michael-Hakim Jordan, Ruben Boumtje-Boumtje, Adam Chubb, Jan Jagla, Darius Hall, Bryce Taylor oder David Holston (um nur einige wenige zu nennen) für Quakenbrück auf Körbejagd. Alleine der guten Luft wegen dürften die oft namhaften Akteure nicht für die Dragons aufgelaufen sein …
Die Quakenbrücker entwickelten sich zu einer verlässlichen Größe in der BBL, waren Stammgäste in den Playoffs und triumphierten 2008 sogar im Finale um den Deutschen Pokal in Hamburg. Neidisch schauten die Derbyrivalen aus Oldenburg zum „kleinen“ Nachbarn, der tatsächlich vor ihnen einen Titel eingefahren hatte. Der Pokal war so etwas wie die zweite Heimat des Clubs, gleich fünfmal gelang der Sprung ins TOP FOUR. Stichwort Derby: Die Duelle zwischen den Dragons und den EWE Baskets waren in jeder Saison einer der Stimmungshöhepunkte, oft genug reisten die Oldenburger besiegt nach Hause …
Das Ende der sportlichen Glückseligkeit folgte 2015, als Kollmann einen Rückzieher machte und die Verantwortlichen keine seriöse Basis mehr sahen, erfolgreichen Erstliga-Basketball auf die Beine zu stellen. „Aus der Macht wird wieder ein Dorf“, titelte die „Neue Osnabrücker Zeitung“ damals. Ein Neuanfang in der Dritten Liga (ProB) war die Folge, Marius Kröger wurde neuer Geschäftsführer. 2018 gelang dank Wildcard der Sprung in die ProA, aus der man 2022 sportlich beinahe wieder herausgestürzt wäre – nach der Saison aber wurde ein Platz in der zweithöchsten Spielklasse frei, wieder gab es eine Wildcard. Die Dragons bewarben sich und verblieben in Liga zwei.
Und heute, nur wenige Monate nach dem Fast-Abstieg? Da rennen die Menschen den Dragons wieder die Bude ein. An diesem Samstagabend, der mit dem Ausschöpfen der Mayonnaise-Vorräte zu Ende geht, strömen 3.000 Zuschauer in die ausverkaufte Arena. Vorher hatte es eine Wette gegeben zwischen Geschäftsführer Kröger, der inzwischen fast schon wie die Mantaplatte zum Inventar gehört, und Michael Bürgel, Bürgermeister der Samtgemeinde Artland. Würde die Arena gegen Tübingen ausverkauft sein? Bürgel sagte nein, Kröger ja – der Wetteinsatz war eine Tanzeinlage mit den Cheerleadern. Dem stimmungsvollen Abend entsprechend tanzten in der ersten Auszeit schließlich beide gemeinsam zu „Macarena“. Man gewinnt momentan den Eindruck, dass nichts unmöglich erscheint bei den Drachen.
Dass später am Ende fast alle in der Artland Arena tanzten, war derweil die Folge eines packenden ProA-Spiels. Da erwiesen sich die Tabellenzweiten, die Tigers aus Tübingen, als ebenbürtige Gegner, die in der entscheidenden Phase die Vorteile in der Hand zu halten schienen, aber: Es läuft halt gerade bei den Quakenbrückern. Ein Dreier hier, ein überzeugter Mitteldistanzwurf dort, entschlossene Defense am anderen Ende des Parketts – fertig war der vierte Sieg in Folge.
„Wir können uns das vorstellen“, sagt Geschäftsführer Kröger, der einst als Praktikant bei den EWE Baskets in Sachen Basketball endgültig auf den Geschmack gekommen war, auf die Frage nach etwaigen Aufstiegsambitionen. Allerdings: Auch er weiß, was alles dazugehört, um das dann am Ende tatsächlich zu realisieren. Ohnehin ist das ja (noch) Zukunftsmusik.
Zeit für große Träume in der kleinen Stadt. „Leider ist Fortschritt manchmal nur möglich nach einem Schritt zurück“, hatte es Ex-Trainer Fleming einst im opulenten Magazin „Die Macht im Norden“, das die zwölf BBL-Jahre und die Geschichte der Dragons Revue passieren ließ, formuliert. Der Zeitpunkt für den Fortschritt könnte tatsächlich gekommen sein.
Seien wir mal ehrlich: Diese Aussicht hat was. Die Arena mag mit ihren 3.000 Plätzen nicht die größte sein und mit Blick auf die Lizenzstatuten, die sukzessive verschärft werden, langfristig nicht mehr ausreichen. Der Standort Quakenbrück aber hat längst bewiesen: Hier kann man Bundesliga. Nicht nur mit Blick auf die emotionalen Derbys gegen Oldenburg wären die Artland Dragons für die BBL ein Gewinn. Auch die Mantaplatte fände viele neue Abnehmer unter den Gästefans.