Es ist erst ein paar Wochen her, da gönnten sich die Eisbären Bremerhaven einen sehnsüchtigen Blick zurück in glanzvolle Tage. In der Stadthallte feierte der Club seinen 20. Geburtstag und lud zu diesem Jubiläum zahlreiche Protagonisten der Vergangenheit ein, darunter einstige Führungsspieler wie Zygimantas Jonusas. Der Lette, inzwischen 41 Jahre alt, ging von 2006 bis 2009 für die Nordseestädter auf Körbejagd und fuhr in seiner Zeit 2008 einen dritten Platz im BBL-Pokal ein. Das waren noch Zeiten für den Club im Oberhaus des deutschen Basketballs.
Die Eisbären wollen genau dorthin wieder zurück. „Eines Tages“, wie Geschäftsführer Nils Ruttmann in einem Interview betonte.
Nur: Wie wahrscheinlich ist das? Zeit für einen Ortsbesuch.
An einem kalten Freitagabend stehen vor der Stadthalle die ersten Besucherinnen und Besucher vor dem Einlass herum und diskutieren über das Wetter, das hochmoderne Parksystem und den heutigen Gegner Rasta Vechta. Der Aufstiegsaspirant aus Südoldenburg, der nicht „eines Tages“, sondern allzu gerne in diesem Jahr in die erste Liga zurückkehren möchte, wird von zahlreichen Fans begleitet, unter lautem Hupen fahren zwei vollbesetzte Busse vor. Gemeinsam friert es sich schöner.
Bevor sich die Türen endlich öffnen, fällt ein letzter Blick auf das Nachbargebäude. Die Eisarena ist Spielstätte des Eishockey-Bundesligisten Fischtown Pinguins und bei den Heimspielen in der DEL mit durchschnittlich rund 4.000 Fans stets überaus gut besetzt. Heute aber steht Basketball auf dem Programm, und der Gedanke an eine warme Halle ist gerade deutlich erfreulicher als der an eine Eisarena.
Die Stadthalle in Bremerhaven war, das muss betont werden, nie eine echte Basketballhalle. Selbst zu seligen BBL-Zeiten, als beispielsweise bei den Nordduellen gegen die EWE Baskets ordentlich Betrieb herrschte, war das alles irgendwie immer eine Art Kompromiss. Die Tribünen ragen an beiden Längsseiten in gerader Flucht weit über das Spielfeld hinaus, Körperschiefstand inklusive.
Und doch: Die damalige Zeit in der BBL weckt eben nicht nur romantische Erinnerungen, sondern auch den Wunsch nach Wiederbelebung.
2005 waren sie aufgestiegen, ein Sieg vor ausverkauftem Haus gegen Essen markierte das vorübergehende Ende der Zweitklassigkeit. Und dann ging der Spaß erst so richtig los. Gleich im Debütjahr in der Beletage marschierten die Eisbären bis auf Rang vier nach der Hauptrunde, erreichten das Pokal-Halbfinale und zogen auch ins Playoff-Halbfinale ein. Dort scheiterten sie an Alba Berlin. Sarunas Sakalauskas wurde Trainer des Jahres. Was für ein erstes Jahr!
Es ging munter weiter. 2006/2007 wurden sie wieder Vierter, 2007/2008 gelang in der dritten BBL-Saison der dritte Playoffeinzug. The sky over Bremerhaven is the limit? Nein. 2009, als Nachbar Oldenburg die Meisterschaft feierte, landeten die Eisbären mit nur sieben Siegen auf dem letzten Platz und blieben nur dank einer Wildcard Erstligist. Nach einer Wiederbelebung in den Jahren 2010 (Halbfinale) und 2011 (Viertelfinale) schlossen sich acht weitere Jahre in der BBL an, allerdings auch acht Jahre ohne Playoffs.
Der Tiefpunkt folgte 2019. 16:52 Punkte, die im Vorjahr noch zum 16. Platz ausgereicht hatten, führten nun in die Zweite Liga ProA. Pikant: Das Abrutschen auf den Abstiegsplatz am letzten Spieltag war faktisch nicht nur einer eigenen Niederlage, sondern auch einem Sieg Crailsheims gegen Oldenburg geschuldet. „Da durfte der Sohn vom Trainer mitspielen, der die ganze Saison nicht zum Einsatz kam, und noch zwei weitere Spieler, die kaum vorher gespielt hatten“, tobte der damalige Eisbären-Geschäftsführer Wolfgang Grube im Interview mit „buten un binnen“. „Das war klare Wettbewerbsverzerrung und dazu stehe ich auch. Das hätte ich nie erwartet von einem deutschen Bundesliga-Klub wie den Baskets, das ist unehrenhaft.“
Seitdem spielen die Eisbären in der ProA. So wie an diesem kalten Freitagabend im März.
Die Bremerhavener haben sich vor dem Nordduell gegen Vechta zurückgemeldet im Rennen um die Playoffplätze, nach drei Siegen in Folge gehen sie als Achter in die Partie gegen den Spitzenreiter. Licht aus, Lautstärke hoch, Teamvorstellung: Diese Mechanismen greifen auch in Liga zwei.
Nur: Die Stadthalle ist nach wie vor keine Basketballhalle. Wer hier einen Fastbreak rennt, kann nach erfolgreicher Ablage des Spielgeräts im gegnerischen Korb direkt bis zum Bistro durchlaufen. Auf der anderen Seite des Spielfeldes lauert das große Nichts, schräg hinter den Presseplätzen tanzen fünf einsame Cheerleaderinnen unverdrossen vor sich hin. Das Spiel der wiederbelebten Eisbären gegen die ambitionierten Gäste aus Vechta lockt nur etwas mehr als 1.200 Besucherinnen und Besucher an, ohne die vielen Rasta-Anhänger wäre der vierstellige Bereich wohl nicht geknackt worden.
Sportlich allerdings kann sich das, was die Mannschaft des ehemaligen Bundesligaspielers Steven Key an diesem Abend bietet, durchaus sehen lassen. Gewiss ist beiden Kontrahenten anzusehen, dass die Länderspielpause den Rhythmus gestört hat, aber vor allem dank oftmals entschlossener Defense schränken die Hausherren die Kreise der Gäste nachhaltig ein. Kurz vor Schluss scheint Vechta die Angelegenheit doch noch zu seinen Gunten entscheiden zu können, an diesem Abend aber wird der unermüdliche Eisbären-Einsatz belohnt: 77:75, vierter Sieg am Stück, die Playoffträume reifen.
Nur zwei Tage später verliert Bremerhaven daheim gegen Bochum. „Eines Tages“ mag als Zielvorgabe angemessen realistisch sein, wenn es um die BBL-Ambitionen geht. Man darf nicht vergessen: Schon 2020 gab es die sportlichen Voraussetzungen für den Aufstieg, nicht aber die strukturellen; Stichwort: BBL-Statuten. Dass Geschäftsführer Ruttmann die Erstliga-Idee aber überhaupt (wieder) offen ausgesprochen hat, schafft Platz für Träume – und für handfeste Pläne, ohne die ein solches Unterfangen am Ende ohnehin nicht funktionieren kann.