Hermann Schüller hat beste Sicht auf das Geschehen in der EWE Arena. Direkt hinter der Bande kann er nicht nur unmittelbar wahrnehmen, was auf dem Parkett geschieht, sondern auch beobachten, was auf der Mannschaftsbank neben ihm passiert. Am vergangenen Sonntag erlebte der Geschäftsführer der EWE Baskets Oldenburg von seinem angestammten Platz aus ein bizarres Schauspiel: Eine Halbzeit lang lieferte sein Team, von wenigen Ausnahmen gegen Ende des Abschnitts abgesehen, eine reife Leistung. In der zweiten Hälfte allerdings nahm das Unheil seinen Lauf: Die Gäste von den Telekom Baskets Bonn setzten sich kontinuierlich ab und fuhren einen überdeutlichen 108:83-Sieg im Liga-Klassiker ein. Wohin er auch blickte: entsetzte Oldenburger Gesichter.
Das Problem an Hermann Schüllers Platz: Er bekommt dort auch ziemlich ungebremst die Emotionen aus dem direkt hinter ihm gelegenen Fanblock mit.
Spätestens in der 34. Minute, nach einem krachenden Dunk durch Savion Flagg, war der Unmut auch für ihn nicht mehr zu überhören. „Wir haben die Schnauze voll“, so schallte es aus Teilen des Blocks. Wovon die Fans eben jene voll hatten? Nun: Da kommt inzwischen einiges zusammen. Die gewöhnlich heimstarken Oldenburger haben seit Oktober nicht mehr vor heimischer Kulisse in der easyCredit Basketball Bundesliga gewonnen. Insgesamt acht der letzten neun Ligaspiele wurden verloren. Und, last but not least: Der Auftritt gegen Bonn in der zweiten Halbzeit war, mit Verlaub, beschämend.
Nach dieser herben Pleite stellt sich die Frage: War der aus Oldenburger Sicht betrübliche Abend ein Kipppunkt einer ohnehin merkwürdigen Saison?
Nach wie vor kämpfen die EWE Baskets mit personellen Problemen. Fünf Spieler waren, sind und bleiben verletzt. Offiziell gab es zuletzt keine Neuigkeiten bezüglich einer möglichen Rückkehr zumindest einzelner Akteure – die Hoffnung, endlich einen der Langzeitpausierenden zurück auf dem Parkett begrüßen zu dürfen, wird aber größer.
Allerdings: Auch die Gäste aus Bonn traten in der EWE Arena beileibe nicht in bester Besetzung an. Die Ausfälle von Harald Frey und Benedikt Turudic schmerzen die Rheinländer, kurzfristig konnte auch Chris Sengfelder nicht auflaufen, seit Saisonbeginn fehlt Florian Koch. Und so musste sich Trainer Roel Moors im Kern auf sieben Spieler konzentrieren. Die erledigten ihren Job rund 18 Minuten lang holperig, danach aber umso überzeugender. Die acht Oldenburger auf der anderen Seite legten eine konträre Entwicklung auf das Spielfeld.
Rätselhaft war dieser Kontrast im Auftreten der EWE Baskets in den beiden Spielhälften. In der ersten Halbzeit (53:49) ließen sie den Ball zuweilen spielerisch leicht durch ihre Reihen laufen. Abschlüsse aus der Distanz, Abschlüsse am Korb: alles vorhanden. Und das oftmals kritisierte starre Aufbauspiel? Pustekuchen! Auch defensiv ging der Plan auf: Oldenburg ließ Bonn lange Zeit nicht recht in die Partie finden, die Gäste mussten binnen kurzer Zeit zweimal in der Auszeit zur Ordnung gerufen werden.
Schon in den letzten rund zwei Minuten der ersten Halbzeit deutete sich indes an, was sich in der kompletten zweiten Halbzeit (30:59) fortsetzen sollte. Das Teamspiel der Oldenburger erstarb, die Defensive wurde Stück für Stück anfälliger. Während Bonn unbeeindruckt weiterpunktete, gelang den Hausherren immer weniger. Und so führten die Telekom Baskets das Ergebnis schließlich in eine unappetitliche Dimension, die dem Unterschied auf dem Parkett tatsächlich gerecht wurde.
So sehr die Hoffnung auf eine Rückkehr der verletzten Spieler einen möglichen Abgesang auf diese Saison als verfrüht erscheinen lassen könnte: Die Idee, dass alles nur besser werden kann, könnte sich als Trugschluss erweisen.
Die Negativspirale hat sich inzwischen offenkundig in den Köpfen der Spieler eingenistet. Aus der unterschwelligen Erwartungshaltung heraus, dass aus einem Fehler weitere entstehen, entstehen: Fehler. Als Bonn das Kommando übernahm, reichten wenige Aktionen aus, um den Oldenburger Widerstand komplett zu brechen. Wer den EWE Baskets aktuell begegnet, trifft im Grunde auf einen dankbaren Gegner. Das wird auch Göttingen wissen, das am Samstag zum Niedersachsenduell anreist …
Gegen die Telekom Baskets wirkte es dabei zunächst so, als greife der vorgegebene Gameplan. Als Bonn allerdings einen Schlüssel fand, sich dem Oldenburger Druck zu entziehen, blieb eine Antwort schlicht aus. Die EWE Baskets konnten ihren Gegnern nur noch hinterherschauen. Zur allgemeinen Unsicherheit kommen auch individuelle Fragezeichen: Wo steckt der DeWayne Russell, den die Fans kennen und schätzen? Wann ruft Ebuka Izundu sein Potenzial ab? Und nicht zuletzt: Welche Schlüssel ziehen Geschäftsführer Hermann Schüller und der sportliche Leiter, Srdjan Klaric, aus der Partie?
In der Tabelle stehen die Schützlinge von Trainer Pedro Calles, dem in den Kommentarspalten zunehmend Gegenwind ins Gesicht weht, längst unter Druck. Mit 6:9 Siegen rangieren sie in der unteren Hälfte einer momentan deutlich in zwei Teile geteilten Bundesliga. War die Zielsetzung von Herman Schüller vor der Saison („Wir wollen in die Playoffs“) noch als Understatement aufgefasst worden, mutet dieser Plan inzwischen fast schon ambitioniert an. Vermutlich werden die EWE Baskets nach der Hauptrunde froh sein, wenn sie an den neugeschaffenen Play-In-Spielen (Plätze sieben bis zehn) teilnehmen dürfen.
Es kann nur besser werden? Auf das kniffelige Heimspiel gegen die BG Göttingen folgen Aufgaben, die es in sich haben: Die Oldenburger sind in Hamburg, gegen Ludwigsburg, in München und in Chemnitz gefordert. Bisherige Bilanz gegen Teams, die über ihnen rangieren: 2:7.
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