Der vierte Platz im Sport ist gemeinhin nicht übermäßig beliebt, zumindest bei der Medaillenvergabe. Während die ersten drei Ränge mit Gold, Silber und Bronze belohnt werden, geht der Vierte leer aus. Ausnahmen bestätigen einmal mehr die Regel: In einem Wettkampf wie in der Basketball-Bundesliga kann Rang vier überaus wertvoll sein, Stichwort Heimvorteil in der ersten Playoffrunde.
Für die EWE Baskets Oldenburg, die sich nach dem Finale beim TOP FOUR in heimischer Halle im Februar das erste Edelmetall der Saison bereits um die Hälse hängen konnten, dürfte die Verteidigung des aktuellen Platzes im Klassement das Wunschszenario darstellen. Ganz oben sind Berlin (18:1 Siege) und Bonn (18:2) enteilt, dahinter befindet sich der FC Bayern (14:6) aus Sicht der Oldenburger (13:7) in Schlagdistanz. Nur: Wer die Münchner beim TOP FOUR genau beobachtet hat, der darf nicht zwingend davon ausgehen, dass die Mannschaft von Trainer Andrea Trinchieri noch allzu viele Siege liegenlässt.
In meiner Prognose für das Tabellenbild nach dem Abschluss der Hauptrunde habe ich die EWE Baskets auf den vierten Platz gesetzt – und es gibt für mich momentan wenig Gründe, das ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Ganz im Gegenteil.
Da sind einerseits die Erkenntnisse aus dem TOP FOUR. Ja, die Oldenburger haben (mal wieder) zunächst einem ordentlichen Rückstand hinterherlaufen müssen, aber sie schafften es (mal wieder) dank einer fundamentalen Steigerung, die im Kern auf Kleinigkeiten basierte, die Halbfinal-Partie zu drehen. Im Finale mag der Gegner aus München an diesem Tag auf den ersten Blick unbezwingbar gewesen sein, aber mit etwas weniger Fehlern hätte der Kampf um Gold tatsächlich noch spannender werden können.
Zudem haben sich die personellen Voraussetzungen deutlich verbessert. Center Owen Klassen wird zum Heimspiel gegen Crailsheim am 5. März wohl wieder im Kader stehen, zudem sind die Möglichkeiten dank der Nachverpflichtungen von Shakur Juiston und Hassani Gravett verbessert worden. Einzig Rihards Lomazs wird in dieser Saison nicht mehr zum Einsatz kommen, hinter der Rückkehr von Kenny Ogbe auf das Parkett steht weiterhin ein Fragezeichen.
Und auch bei der Analyse des bisher in dieser Saison Gezeigten deutet sich an, dass Oldenburg mit Recht ein Anwärter auf den vierten Platz ist. An erster Stelle zu nennen ist Point Guard DeWayne Russell, MVP der Fanherzen beim TOP FOUR. Der US-Amerikaner zeichnet sich nicht nur als überaus verlässlicher Korbschütze aus (durchschnittlich 17,8 Punkte pro Spiel), sondern auch als herausragender Passgeber (7,7 Assists). Die EWE Baskets mögen sehr von ihrem Leader abhängig sein, dank seiner Souveränität stellt das aber auch keinen Nachteil dar.
Ein ganz wichtiger Baustein im Erfolgsrezept ist Trey Drechsel. Der Shooting Guard sammelt nicht nur fleißig Punkte (14,6), sondern imponiert auch in der Reboundarbeit (4,6) und durch seine Spielintelligenz. Bestes Beispiel war seine Cleverness im Pokal-Halbfinale, als er die Schwachstelle der MHP RIESEN gnadenlos und mehrmals nacheinander ausnutzte. Dass er zudem beherzt jedem Ball nachjagt und in diesen Dingen Kapitän Max DiLeo nacheifert, macht ihn umso wertvoller. Es wäre keine Überraschung, wenn Drechsel nicht längst das Interesse anderer Clubs auf sich gezogen hat …
Dahinter sind die Übergänge auf den Positionen angenehm fließend. Alen Pjanic kann auf der Drei und auf der Vier agieren, in den vergangenen Wochen zeigte seine Leistungskurve munter aufwärts. Den Wert für das Oldenburger Spiel haben die Trainer längst erkannt: Im Halbfinale gegen Ludwigsburg stand Pjanic 34:26 Minuten auf dem Parkett – und das, obwohl er nach dem fünften Foul das Ende der Partie von der Bank aus erleben musste. Pjanic punktet, Pjanic ackert, Pjanic reißt mit: Es ist kein Wunder, dass bei seiner Vorstellung vor den Spielen der Jubel von den Rängen inzwischen spürbar lauter als bei anderen ist.
Und auch die großen Positionen sind bei den EWE Baskets nach der Verpflichtung von Shakur Juiston und der Genesung von Owen Klassen und Norris Agbakoko mittlerweile so besetzt, dass taktische Anpassungen je nach gegnerischen Herausforderungen lösbar sind. Spannend wird sein, wer zuschauen muss, wenn alle fit sind; insbesondere TJ Holyfield sucht gelegentlich nach Konstanz und könnte ein Wackelkandidat sein.
Alles in Butter also? Zwei Faktoren könnten den angepeilten vierten Platz noch am ehesten gefährden. Das ist zum einen die Tendenz, in Spielen ab und an deutlich in Rückstand zu geraten. Nicht immer werden sich die Oldenburger auf ihre Comeback-Qualitäten berufen können; schon gar nicht, wenn der Terminplan im April in den entscheidenden Wochen straffer wird. Und zum anderen ist da die Stärke einiger Konkurrenten, die teilweise ohne den ganz großen Druck hinter Oldenburg rangieren. Von Göttingen (13:7) beispielsweise wird niemand den vierten Platz erwarten, doch mit drei Siegen am Stück haben die niedersächsischen Konkurrenten zuletzt wieder gezeigt, wie stark sie sind.